Semyon Bychkov
(c) Sheila Rock

Ungewöhnliche Entstehungsgeschichten sind mit beiden Werken verbunden, die am Sonntag in der Philharmonie in Luxemburg erklangen. Ohne Ouvertüre direkt hinein ging es mit dem Doppelkonzert für zwei Klaviere und Orchester von Max Bruch. Bruch, der von sich selber behauptete, keinen Zugang zu Klavierkompositionen zu haben, anders als die von ihm geschätzten Mendelssohn und Schumann, nahm den Kompositionsauftrag eines Klavierduos seiner Zeit an, um dieses Konzert zu komponieren. Doch wurde es von diesen Solisten so nicht angenommen und mehrfach überarbeitet. Erst 1973 wurde es aus der nach Orchesterstimmen rekonstruierten Urfassung aufgeführt, wie es nun auch erklang.

Die Ambivalenz gegenüber dem Instrument ist in diesem Werk nicht erkennbar. Ursprünglich als Suite für Orchester und Orgel komponiert, ist es aus der Umarbeitung als neue Fassung hervorgegangen, die die Disposition zwischen Orchester und Solisten den Spezifika des Klaviers angepasst. Satzübergreifend finden sich in dem Werk Anhaltspunkte für die grundsätzliche Idee der Verarbeitung von Leid und Schmerz.

Dieses halbstündige romantische Werk war natürlich eine schöne Herausforderung für die Geschwister Labèque, die in der Reihe ‘Grands solistes’ zu Gast in der Philharmonie waren. Sie eröffneten das Werk kräftig und unisono mit dem Motiv der Trauer, das auch im letzten Satz wiederkehrt. Die beiden mittleren Sätze nutzten die Solistinnen, um die zarteren Seiten ihres Spiels zu präsentieren, denn ein frühlingshafter zweiter Satz und ein im Gegensatz zu den Ecksätzen lyrischer dritter boten dazu alle Möglichkeiten. Ihre auf jahrelanger gemeinsamer Podiumserfahrung beruhende entspannte Homogenität im Spiel, die sie mit leichten Bewegungen und Augenkontakt mühelos erreichten, liess den Hörer entspannt den musikalischen Entwicklungen folgen. Das ‘Concertgebouw Orkest’ aus Amsterdam zählt natürlich zu den großen Orchestern, auch wenn es hier nicht in dieser Reihe der Philharmonie auftrat. Unter der Leitung von Semyon Bychkov, der seine Frau und seine Schwägerin natürlich auf Händen trug und unterstützte, gelang ein harmonievolles Miteinander, in dem das Orchester zwar auch seine Momente, wie den Orgelpunkt nach dem solistischen Trauermotiv auskostete, ansonsten aber den Solistinnen ihre Entfaltungsmöglichkeiten liess.

Zum Gedenken an den hundertsten Geburtstag des großen Dirigenten und Komponisten Leonard Bernstein am 25. August des Jahres boten die Geschwister eine fein ziselierte Paraphrase über Maria aus der ‘West Side Story’.

Nach der Pause erklang dann eine der bevorzugten Kompositionen des Dirigenten Bychkov, die fünfte Symphonie von Dmitri Shostakovich. Auch bzw. insbesondere dieses Werk muss in seinem Entstehungsumfeld gesehen werden. Nach dem lebensbedrohenden Verriss der vierten Symphonie und der Oper ‘Lady Macbeth von Mzensk’ musste er ein Werk schreiben, dass der Zensur des Systems und deren Meinung von sozialistischer Musik zusagte. Mit der Sonatensatzform des ersten Satzes, der nahezu menuettartigen dreiteiligen Form des zweiten, einer Art Ländler, dem kammermusikalischen langsamen dritten Satz und dem in Dur triumphal schließenden vierten Satz bei einer gegenüber der Vorgängerin kleineren Orchesterbesetzung kann man ein Einknicken vor der Staatsmacht sehen. Man kann aber auch das Klagemotiv vermischt mit Trauer im ersten, dem eher abgehalftert als volkstümlich klingenden zweiten, dessen Resignation, Trauer und Klage im dritten fortgeführt werden und mit Klarinette, Xylophon und Klavier einen anklagenden Höhepunkt erhalten sowie dem vierten Satz, der in überzeichneter Jubelpose und damit wohl eher Jubelposse endet, als verdeckte Kritik verstehen, die von der Zensur – zum Glück – nicht erkannt wurde.

Wie alle Symphonien dieses Meisters dieses Genre im 20. Jahrhundert handelt es sich um ein Paradestück für ein Orchester, das mit feinen Soli, etwa von Konzertmeister, Flöte, Horn und Trompete sowie natürlich auch dem eigentlich orchesterfremden Klavier, das ebenfalls unerhörte Töne und damit Kommentare einbringt und der alle fordernden Ensembleleistung die Qualitäten der Musiker fordert.

Bychkov, der auswendig dirigierte, war sichtbar in seinem Element und auch auf festem Boden. Er kitzelte alle Farben und Extreme aus dem Klangkörper heraus. Beeindruckend waren die leisen, wirklich fast unhörbaren Stellen und die Harmonie innerhalb der Instrumentengruppen. Lediglich der vorgespielte Jubel hätte noch lauter und schmerzhafter klingen können. Dem stand wohl die adlige Eleganz des ‘Koninklijk Concertgebouw’ entgegen.

Uwe Krusch

 

 

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