Mit ihren ungewöhnlichen und musikalisch hochkarätigen Konzerten der letzten Jahre haben sich Thomas Hengelbrock und das Balthazar-Neumann-Ensemble sehr schnell zu wirklichen Publikumslieblingen entwickelt. Genauso wie Grigori Sokolov oder Leopold Hager, der ehemalige Chefdirigente des damaligen RTL-Symphonieorchesters. Alain Steffen hat mehrere Konzerte in der Philharmonie Luxembourg besucht.
Den Auftakt machten Thomas Hengelbrock und das Balthasar-Neumann-Ensemble mit liturgischem a-capella Gesang von Pavel Tchesnokov und Cesar Cui, dem Adagio molto von Piotr Tchaikovsky und dem Thema und Variationen op. 97 von Alexander Glazunov, letzteres für Streichorchester. Nach der Pause erklang dann das selten zu hörende Oratorio de Noël op. 12 von Camille Saint-Saëns. Es waren vor allem die Chorwerke, die an diesem Abend einen nachhaltigen Eindruck hinterließen. Pavel Tchesnokovs Spasenie sodelal (aus den 10 Hymnes pour la Communion op. 25), Sovet prevechny (aus la Volonté éternelle) und Hymne des Chérubins sind wunderschöne Musik, die vom Balthasar-Neumann-Chor stimmprächtig gesungen wurden. Der differenzierte und wohlausbalancierte, dazu schwebende und himmlische Gesang des Chores wusste ebenfalls in César Cuis Magnificat op. 93 zu begeistern.
Einen derart reinen und intonationsschönen, sowie wunderbar ausphrasierten Chorgesang kann man nur ganz selten erleben. Das Streicherensemble stand der Intonationssicherheit des Chores in nichts nach und schenkte dem Publikum zwei wunderbare Interpretationen von Tchaikovskys Adagio und Glazunovs Thema und Variationen. In der zweiten Konzerthälfte konnte man dann Saint-Saëns Weihnachtsoratorium genießen, ein wunderschönes, melodisches und auch sehr vielseitiges Werk, bei dem neben dem Orchester und Chor auch die vier Solisten, die alle aus dem Chor stammen auf höchstem Niveau für sich einnehmen konnten. Thomas Hengelbrock leitete Ensemble und Chor wie immer mit Meisterhand und es gelang ihm, jeden Ton, jede Phrase zu einem stimmigen Klanggebilde zu formen, das an Schönheit, Ausdruck und Präzision nicht zu übertreffen ist.
Für den guten Zweck
Am 5. Dezember hatten SOS Villages d’Enfants Monde zu ihrem traditionellen Benefizkonzert geladen. Aus Zeitgründen konnten wir leider nur die erste Konzerthälfte besuchen und wurden auf künstlerischem Plan eher enttäuscht. Man weiß ja, dass sogenannte Benefizkonzerte oft ihre eigene Dynamik haben und nicht immer mit so ausgefeilten Interpretationen aufwarten, wie in einem normalen Konzert. Es war natürlich lobenswert, die erste Preisträgerin des Reine Elisabeth- Wettbewerbs einzuladen; allerdings zeigte sich die Violinistin Stella Chen nicht sonderlich gut vorbereitet, um mit Tchaikovskys Violinkonzert punkten zu können.
Ihr Spiel wirkte zwar spieltechnisch korrekt, wenn auch nicht mehr, ansonsten ließ ihre verhaspelte und inkohärente Interpretation vieles zu wünschen übrig. Da gab es kein schlüssiges Konzept, viele Phrasierungen wirkten gekünstelt und aufgesetzt und eine durchgehend musikantische Linie oder Atem suchte man vergebens. Die beiden ersten Sätze spielte sie – wahrscheinlich wegen mangelnder Proben – quasi Auge in Auge mit dem Dirigenten Leopold Hager, der bemüht schien, ihr unvorhersehbares Spiel zumindest korrekt zu begleiten. Beim letzten Satz kam dann endlich etwas musikalischer Fluss auf, doch das war dann doch noch immer viel zu wenig, um dieses Konzert jetzt als überzeugend einstufen zu können. Zudem spielte das Orchestre Philharmonique du Luxembourg wenig enthusiastisch und blieb auch klanglich hinter den Erwartungen zurück.
Eine Sternstunde
Grigori Sokolov ist ein einzigartiger Musiker und Interpret, und seine Konzerte sind jedes Mal ein herausragendes Ereignis. Glücklicherweise hat er die Philharmonie Luxembourg regelmäßig auf seinem Terminkalender. Diesmal hatte Sokolov Werke von W.A. Mozart und Johannes Brahms im Gepäck, die er jeweils hintereinander, also ohne Pause und Applaus spielte. In der ersten Konzerthälfte stand Mozarts Klaviersonate Nr. 11 A-Dur KV 331 auf dem Programm, die vom Präludium und Fuge in C-Dur KV 394 sowie dem Rondo a-moll KV 511 eingerahmt wurden. Gerade durch den Verzicht auf eine Unterbrechung zwischen den Werken konnte man den Kosmos Mozart in einer sehr stimmigen und eigentlich logischen Abfolge erleben. Bei Sokolov erlebt man jede Note und jede Phrase, jede Melodie und jeden Akzent. Und das jedes Mal neu. Sokolov spielte Mozart mit bedächtiger Ruhe und zeigte ihn als einen in sich gekehrten, nachdenklichen Menschen, der es mit seiner Musik schafft, beim Publikum einen quasi hypnotischen, meditativen Zustand hervorzurufen. Demnach still war es auch im großen Saal der Philharmonie, wo man hätte eine Nadel fallen können. Sokolov schien Mozart aus dem Blickwinkel von Bach heraus angehen zu wollen. Klare Textur, keine Verzierungen, deutliche Intonation, absolute Präzision und analytische Strenge. In dem Sokolov bewusst auf große Emotionen verzichtete, zeigte sich Mozart Musik in seiner reinsten und in vollkommen unverfälschter Form.
Im zweiten Konzertteil hatte Sokolov dann die Sechs Klavierstücke op. 118 und die Vier Klavierstücke Op. 119 von Johannes Brahms vorbereitet. Auch hier ein ähnliches Vorgehen wie bei Mozart, klare Strukturen, unverfälschte Gefühle und präzise Ausleuchtung. Hinzukam aber ein relativ kräftiger Anschlag, der der Musik den notwendigen Körper verlieh. Überhaupt klang Sokolovs Brahms sehr räumlich, die Noten schienen nicht festgebunden, sondern entwickelten sich wie freie Radikale. Dies war möglich, das Sokolov es schaffte, unendliche Nuancen in sein Spiel einzubinden, das der Musik Raum und Tiefe gab. Und trotzdem hielt alles zusammen, nur, dass man den Eindruck hatte, zusätzlich das komplette Innenleben der niedergeschriebenen Noten sehr physisch zu erleben. Jeder Zuhörer weiß, dass es bei Sokolov keine zwei sondern drei Konzertteile gibt. Und dieser dritte Teil ist dann seinen zahlreichen Zugaben gewidmet. Sechs waren es an diesem Abend. Also wie immer: Eine absolute Sternstunde!
Radikale Ehrlichkeit
Am 9. Dezember dann war das Artemis Quartett Garant für erstklassige Aufführungen des Quartettsatzes D. 703 und des Streichquartetts D. 887 von Franz Schubert sowie von Bela Bartoks letztem Streichquartett Nr. 6. Das renommierte Ensemble, das für seine dynamischen und immer wieder herausfordernden Interpretationen bekannt ist, trat mit neuer Besetzung an. Die Aufgaben des Primarius und der 2. Geige teilten sich abwechselnd Suyoen Kim und Vineata Sareika, auf dem Cello hörten wir Harriet Krigh und auf der Bratsche Gregor Sigl. Bereits mit Schuberts Quartettsatz wurde man hellhörig. Das Artemis Quartett präsentierte uns einen wilden Schubert, mit harten Akzenten, einigen Schärfen und einem sehr modernen Gestus. Kein Zweifel, dieser Schubert stand im Banne von Bela Bartoks düster traurigem Streichquartett Nr. 6, das die Musiker bis ins kleinste Detail auszuleuchten vermochten. Vor allem die fast resignative Stimmung, gepaart mit einer unendlichen Trauer und viel Wut kam hervorragend zur Geltung. Auch hier markante Akzente und schneidende Geigen, eine hochexpressive Bratsche und ein traurig singendes Cello!
Nach der Pause ging es dann weiter mit Franz Schuberts Streichquartett Nr. 15 D. 887. Es ist dies eine sehr radikale, ja trostlose Auseinandersetzung mit den Themen Leben und Tod, Mensch und Gott. „Denke dir einen Menschen, sage ich, dessen glänzendste Hoffnungen zu Nichte geworden sind, dem das Glück der Liebe u. Freundschaft nichts bieten als höchstens Schmerz.“ Diese briefliche Äußerung Schuberts aus jener Zeit beschreibt den musikalischen und emotionalen Gehalt des G-Dur-Quartetts wohl am besten. Somit gibt es eine direkte Verbindung auch zu Bartoks Streichquartett Nr. 6, das von den Gräueltaten des Hitlerregimes und den schlimmen Zeiten des 2. Weltkriegs inhaltlich und emotional beeinflusst ist. Das Artemis Quartett spielte dieses Schubert-Quartett sehr griffig und dynamisch, mit absoluter Präzision, einem sehr direkten, erdverbundenen Klang ohne Schnörkel und liebliche Melodienbögen.