Ludwig van Beethovens Klaviersonate op. 2/3 und die ‘Elf neuen Bagatellen’ op. 119 sowie Franz Schuberts ‘Vier Impromptus D 935’, dies war das Programm mit dem der legendäre russische Pianist Grigory Sokolov am Mittwoch das Luxemburger Publikum vollkommen in seinen Bann zog, berichtet Alain Steffen.
Ich habe in den letzten vier Jahrzehnten nahezu alle großen Pianisten der Gegenwart im Konzert erleben dürfen: den Alleskönner Daniel Barenboim, die virtuose Martha Argerich, den intellektuellen Alfred Brendel, die feinfühlige Mitsuko Ushida, den analytischen Maurizio Pollini, den philosophischen Sir Andras Schiff, die sensible Hélène Grimaud und noch viele, viele andere erstklassige Pianisten und Interpreten. Aber keiner erreicht in meinen Augen das unbeschreibliche Spiel des Grigory Sokolov. Für mich ist und bleibt er der beste Pianist der Welt. Ein Musiker, bei dem Genialität und Schlichtheit gleichwertig nebeneinander liegen. Keine Mätzchen, keine Showeinlagen, keine bewusst modeabhängigen Interpretationen, Sokolovs Spiel bleibt in jedem Moment integer und uneigennützig. Sein Spiel ist so eindeutig, dass sich die Bezeichnung Interpretation erübrigt. Jede Note, jede Phrase ergibt die andere. Das Kunstwerk Musik entsteht in jedem Augenblick neu, jeder Anschlag Sokolovs öffnet dem Hörer eine andere Dimension des Erlebens.
Ob er, wie an diesem Abend Beethoven und Schubert spielt, oder aber Scriabin, Mozart und Bach, Sokolov lässt uns jedes Mal von Neuem an der Geburt eines Meisterwerks teilhaben. Dabei besitzen seine Interpretationen an sich nie einen Aha-Charakter. Sie sind einfach nur Musik. Spieltechnisch ist Grigory Sokolov überragend, er ist ein Meister der Agogik und der Phrasierung, der Dynamik und der Farben. Aber all dies fällt einem kaum auf, so schlicht und einfach erscheint sein Spiel.
Schließt man aber während des Konzerts die Augen, nimmt uns Sokolov in eine wunderbare Welt mit, wo Musik quasi etwas Metaphysisches, ja Heiliges ist. Es ist das Erlebnis-Hören, das letztendlich wirklich jeden im Saal verzaubert. Und am Ende des Konzerts, weiß man nicht, oder besser, kann man nicht in Worte fassen, was man denn nun erlebt hat. Grigory Sokolov fasziniert seine Zuhörer, zieht sie in seinen Bann. Selbst das hustenfreudige Luxemburger Publikum hielt gebannt den Atem an, man konnte die Konzentration im vollbesetzten Saal quasi körperlich fühlen. Und nachdem der letzte Akkord des allegro scherzando aus den ‘4 Impromptus D935’ von Schubert wie von selbst verklungen war, gab es tosenden Applaus und ‘Standing Ovations’ für diesen genialen Pianisten. Und auch bei der Anzahl seinen Zugaben blieb Sokolov sich treu. Insgesamt sechs von der Dauer einer ganzen Konzerthälfte schlossen dieses wie immer denkwürdige Konzert auf allerhöchstem spielerischen Niveau ab.