Ein bisschen konnten sich der Besucher des Konzerts unter Leitung von Emmanuelle Haïm an die Herren Statler und Waldorf aus der Sesamstraße erinnert fühlen. Saßen doch, anders als üblich, vorne im Orchester direkt vor der Dirigentin die beiden Flötisten. Diese, schon vom Konzert mit Cecilia Bartoli bekannt, machten durch unsympathische Grimassen und dem Eindruck nach Lästereien über Kollegen nicht gerade einen angenehmen Eindruck. Zum Glück stand diese Petitesse aber nicht im Mittelpunkt des Konzerts in der Philharmonie Luxemburg. Uwe Krusch hat vielmehr für Pizzicato alle Sinne geschärft, um die durchaus anspruchsvolle Musik des französischen Barock aufzusaugen.
Die Auswahl der Stücke bot einen Blick in die Zeit, als sich die Musik, angeregt durch ein aufstrebendes Bürgertum, weg vom Königshof hin neue Wege und Stilmittel suchte. Dazu gehörten auch die Motetten für großen Chor. Rameau hatte sein vermutlich in Lyon entstandenes Werk für die Salons in Paris überarbeitet. Diese einzig bekannte Fassung war das Eröffnungswerk des Abends. Gerade diese Komposition war schwere Kost, sowohl für das Publikum als auch die Instrumentalisten und Singstimmen. Denn dieses zeitlich und stilistisch älteste Werk des Abends zeigte besonders deutlich die Variabilität und Komplexität der Verzierungsformen dieses herausragenden Komponisten im Frankreich dieser Zeit. Die effektvolle Musik, die auch Bestandteil einer Oper sein könnte, ist so verzwickt aufgebaut, dass ihre Darstellung eines besonderen Zugangs bedarf.
Dass die Beteiligten diesem Ansatz gerecht werden würden, hätte man im Vorfeld felsenfest angenommen, sind doch Haïm und ihre Ensembles Spezialisten gerade dieses Repertoires. Leider trat die Leichtigkeit und Durchdringung der Materie an diesem Abend nicht so zutage. Abgesehen von rhythmischen Nachlässigkeiten von Seiten des Chores mühten sich auch die Instrumentalisten. So konnten die bereits erwähnten Flöten das komponierte Unisono mit der Solistin auch nur annähernd realisieren. Es war interessant, dieses Werk kennen zu lernen, aber der Funken für das Stück und die Beteiligten wollte nicht überspringen.
Deutlich besser präsentierten sie In exitu Israel von Jean-Joseph Cassanéa de Mondonville. Auch dabei handelt es sich um eine Grand Motet, die sich durch eine größere flächigere Einfachheit gegenüber dem vorherigen Werk auszeichnet, aber auch durch einen sehr viel stärker gefühlsbetonten Satz der Komposition. So eröffnete bereits der Kopfsatz mit rhythmisch emotionaler Note eine neue Welt, die deutlich leichter die Ohren erobert.
Zeitlich dazwischen lag das den Abend abschließende Werk von André Campra, seine Messe de Requiem. Wie die beiden anderen Komponisten kam auch Campra erst im Laufe seines Lebens aus der Provinz nach Paris. Ob, wann und zu welchem Anlass diese Messe entstand, ist unklar. Man kann nur annehmen, dass sie für den liturgischen Kontext geschaffen wurde, da wesentliche Teile fehlen, die man gedanklich als gregorianische Gesänge im Gottesdienst ergänzen kann.
Allein so lang wie die beiden anderen Stücke zusammen, konnte es allen Beteiligten nochmals dazu dienen, ihre Spiel- und Singkunst zu entfalten. Das gelang nicht allen ganz durchgängig. Der Chor blieb bei seiner Marotte, nicht immer dem Metrum exakt folgen zu wollen. Klanglich war er allerdings außer bei den Sopranen mit auch hohen Männerstimmen besetzt, von großer Homogenität und Eleganz geprägt.
Das Orchester zeigte seine Stärken mit Zurückhaltung. Manchmal konnte man den Eindruck gewinnen, der Abend werde etwas lustlos herunter gespult. Zwar waren kaum Schwächen oder gar Fehler zu vernehmen, aber es wollte auch kein erkennbar freudiges Engagement vermitteln.
Einen sehr guten Eindruck hinterließen die Solisten. Die Sopranistin Marie Perbost hat die Fähigkeit, sich an ihre Umgebung anzupassen. Die zeigte sie auch an diesem Abend, bei dem sie an allen drei Werken mitwirkte. Mit tragender, aber nicht auftrumpfender klangheller Stimme flutete sie das Auditorium, konnte sich aber auch in leisen Passagen zurücknehmen. Das Timbre ihrer Stimme gefiel. Es ergänzte sich zum Ergötzen der Ohren mit der für Campra aus dem Chor hinzugekommenen Kollegin, die ihre Stimmen anschmiegsam verschmelzen ließen. Dass die Choristin ihre Rolle vorne an der Rampe sichtlich genoss, gehört wiederum zu den kleinen amüsanten Begebenheiten, die einen Konzertabend neben dem reinen Musikerlebnis bereichern.
Die drei Herrenstimmen stellten ihre gesangliche Kompetenz ebenfalls nicht unter den Scheffel. Der Tenor Samuel Boden hat zwar kein überaus großes Organ, dieses bedarf es aber in einem solchen Kontext auch nicht. Auch er formulierte deutlich verständlich seine Texte. In diesem Zusammenhang agierte er schon in Richtung Countertenor, musste aber keine halsbrecherischen Linien zeichnen. Zachary Wilder, ein weiterer Tenor, kam erst bei Campra zu seinem Auftritt. Seine bescheideneren Anteile genügten trotzdem, um ihn als in diesem Repertoire exquisiten Spezialisten erkennen zu lassen. Der Bassbariton Victor Sicard gehörte dagegen zu den immer wieder an diesem Abend Gefragten. Dabei ist seine Stimme leichterer und mobilerer Natur, was sich gut in die Kompositionen einfügte.
Emmanuelle Haïm leitete sorgfältig und aufmerksam durch den Abend. Es gab vereinzelt ungewöhnliches Vorgehen zu beobachten. So blieb der linke Arm beim Rameau vielfach schlaff an der Seite des Körpers hängen, was später nicht mehr zu sehen war. Ihre auf einen Chor ausgerichtete Dirigierweise birgt natürlich immer die Gefahr, den Interessen des Orchesters weniger gerecht zu werden und damit ein weniger markantes Spiel zu fördern. Vielleicht lag es auch daran, dass nicht alles glückte.
Bleibt als Fazit, dass Haïm und ihre Mitstreiter in der Reihe ‘„Voyage dans le temps – musique ancienne et baroque’ einen äußerst spannenden Blick auf ein Repertoire boten, das zumindest so konzentriert leider kaum einmal angeboten wird. Dass trotzdem kein überschwänglich überzeugender Abend gelang, war überraschend. Aber missen möchte ich das Erlebnis auf keinen Fall.