Ein reines Brahmsprogramm hatte die ‘Deutsche Kammerphilharmonie Bremen’ unter der Leitung ihres Chefs Paavo Järvi in die Luxemburger Philharmonie mitgebracht, das durch die beiden Solisten Christian und Tanja Tetzlaff im Doppelkonzert mitgeprägt wurde. Dass Paavo Järvi auch einen Hauch des Geistes seiner estnischen Heimat eingewoben hat, hat Uwe Krusch für Pizzicato herausgehört.
Ist ein Programm nur mit Werken eines vor mehr als 120 Jahren verstorbenen Komponisten überhaupt interessant? Kann es dem Hörer von heute noch Anreize bieten, zuzuhören? Das ist wohl nur der Fall, wenn die Interpreten etwas Neues aus den Werken herausholen, ohne es zu deformieren. Dass das in beeindruckender Weise gelingen kann, durften die Zuhörer im vollbesetzten großen Saal der Philharmonie erleben.
Das Orchester hat zusammen mit seinem Dirigenten in den letzten Jahren sowohl die Symphonien von Beethoven als auch die von Schumann integral eingespielt und dafür außerordentliches Lob erfahren. Jetzt haben sich die Beteiligten an die nächste Reihe herangewagt. Die Zweite von Brahms, die auch an diesem Abend aufgeführt wurde, liegt schon als Aufnahme zusammen mit den Ouvertüren vor. Das Orchester, dass nicht nur dem Namen, sondern auch der Größe nach ein großes Kammerorchester ist, zeichnet sich durch die Synthese ihres Spiels aus historisch informierter Aufführungspraxis kombiniert mit zeitgenössischer Virtuosität aus. So entsteht ein geradezu graziles und durchscheinendes Klanggebilde, in dem selbst innerhalb der Streichergruppen die einzelnen Beteiligten hörbar sind, obwohl sie unisono erklingen.
Für die Zweite Symphonie, die gerne in die Nähe zu Beethovens Sechster gestellt wird, weil auch ihr ein naturhafter, gerne als pastoral bezeichneter Charakter zugesprochen wird, bedeutete dies, dass die Bremer sie in einem fließenden Strom präsentierten. Dabei entwickelte sich der Fluss nicht träge oder pastos, sondern durchaus hurtig. Alle vier Sätze hindurch bis auf bewusst gesetzte Ruhezonen wirkte die Musik vorwärtsstrebend, ohne deswegen gehetzt zu sein. Vielleicht hat die Weser Pate gestanden, die dem Meer zustrebt? Transparenz wurde mit Farbenreichtum kombiniert und durch die gute Durchhörbarkeit im Orchester gewürzt. Der Einstieg mochte überraschend pastoral wirken, bevor sich auch brahmssche Ballungen erhoben, die dann kräftig, aber geformt gezeigt wurden. Der ganze Ansatz wirkte kultiviert gestaltet und trotzdem spontan in der Darbietung. Dazu kam dann die estnische Prise. Estland ist ja das Land des Gesangs und der Chöre. Järvi ließ die Musiker auf ihren Instrumenten singen. Die Streichergirlanden ebenso wie die Bläserszenen wurden ausmusiziert und ohne Extravaganzen oder Übertreibungen wie beim Lied ausgekostet, so dass ein an der menschlichen Stimme sich orientierendes Spiel erreicht wurde. Der begeisterte Beifall forderte zwei tanzende Zugaben heraus, die wiederum delikat ausgespielt wurden und nicht dem Moment des Applauses nachlaufend hingepfeffert wurden.
Diese Klanglichkeit konnte man schon im Doppelkonzert zu Beginn des Abends wahrnehmen. Auf dieses hatte Tatjana Mehner in ihren einführenden Worten vorbereitet, indem sie auf die Entstehungsgeschichte dieses späten Werks zwischen Kammermusikkompositionen hinwies. Brahms konnte das Werk seiner Idee entsprechend als geglückten Wiederannäherungsversuch an Joseph Joachim nutzen, mit dem er sich nach langer enger Freundschaft über eine private Angelegenheit zerstritten hatte. Robert Hausmann, Cellist in Joachims Quartett, hatte den Wunsch zu einem Cellokonzert an Brahms herangetragen, den dieser mit dem Doppelkonzert erfüllte. Dass die damaligen Solisten Größen ihrer Zeit waren, ist bekannt. Doch wir haben auch heute Künstler, die diesem Werk mehr als Glanz verleihen können.
Mit der Cellistin Tanja Tetzlaff und ihrem Bruder Christian standen zwei außerordentliche Solisten zur Verfügung, die jeder für sich seit Jahren mit ihren Darbietungen überzeugen. Sie spielen aber auch zusammen, etwa im Trio mit Lars Vogt und im nach ihnen benannten Quartett, oder eben hier im Doppelkonzert. Der Einstieg mit dem Cello durch Tanja Tetzlaff war noch etwas zurückhaltend und lotete noch nicht den großen Klang aus. Christian Tetzlaff, der für seine tiefgründigen und intensiven Interpretationen gelobt wird, zeigte dagegen gleich von Anfang an einen intensiven, klanglich singenden Ton. Damit spornte er dann sowohl seine Schwester als auch Dirigent und Orchester an, sich mit vollem Einsatz in dieses Werk hineinzuversetzen. Gemeinsam eroberten sie das Stück und gewannen ihm eine farbenreiche Intensität ab, die man bei diesem Stück nicht jedes Mal hört. Dabei kam ihnen sicherlich ihre geschwisterliche Nähe zugute, die das Zusammenspiel in den gemeinsamen Passagen sowie die Klangabstimmung im Allgemeinen erleichtert.
Als Zugabe spielten die beiden das abschließende Presto aus dem dritten Satz des Duos von Zoltan Kodaly. Dank ihrer überlegenen Technik und Hineinvertiefung konnten sie diesen hochvirtuosen Abschnitt mit rasantem Spiccato und Pizzicato auf rhythmisch vertrackten Tonrepetitionen ihre extrovertierte Spielweise krönen. Dazwischen erklingen Klänge, die ein Liebeswerben ausdrücken und damit eine völlig neue interpretatorische Seite erfordern, die die Geschwister Tetzlaff leicht aus den Fingern schüttelten, bevor sie mit der abschließenden Stretta einen wirkungsvollen Abschluss schufen. Verdienter, langanhaltender Applaus zeigte die Begeisterung des Publikums.