Scheinbar eine Herausforderung erwartete die Besucher des jüngsten Konzerts der Reihe Musiques d’aujourd’hui im großen Saal der Philharmonie Luxemburg. Denn der Klarinettist und Komponist Jörg Widmann gab sein Solodebut als Instrumentalist in diesem Hause ausschließlich mit Werken des 20. und des 21. Jahrhunderts. Dass es gar nicht mühsam, sondern kurzweilig und vielschichtig wurde, berichtet Uwe Krusch für Pizzicato.
Zunächst sorgte optisch das Ballett der Notenständer für Eindrücke, denn vom einfachen über als Zweier- oder Dreierpult gekoppelte und in mehreren Gruppen aufgestellte Anordnungen bis hin zur Zehnerphalanx gab es, verbunden mit den Umbauunterbrechungen, schon einige Bewegung. Geschuldet waren diese Vorkehrungen dem Umstand, dass etwa das 12-minütige Werk Atemwind von Marc Andre so viele spieltechnische Anforderungen stellt, dass diese wohl kaum auswendig gespielt werden kann. Und zwanzig Seiten mit Noten benötigen ihren Platz.
Kaum Platz war dagegen notwendig für das Stück alter Musik, das Werk Pour Pablo Picasso von Igor Stravinsky. Im Programm übertrieben mit einer Minute Spielzeit angegeben, hat Stravinsky dieses Werk bei einem Treffen mit Picasso zwar nicht auf einem Bierdeckel, aber auf einer Postkarte notiert, von deren Kopie der Solist vortrug. Diese wenigen Takte, selten aufgeführt, ließ Widmann sogar zweimal erklingen. Dabei wählte er ein ruhigeres und danach ein flotteres Tempo, bei dem nach meinem Eindruck die Tonsprache des Russen noch markanter hörbar wurde.
Ganz am Anfang hatte das ‘Lied für Klarinette’ aus der Feder von Luciano Berio gestanden, das auch seltener einmal den Weg auf die Bühne findet.
Während diese beiden älteren Stücke naturgegeben nichts mit Jörg Widmann zu tun hatten, waren das bereits erwähnte Werk Atemwind und ‘Vier Male’ von Wolfgang Rihm für den Solisten des Abends komponiert worden. Und natürlich bot er auch eigene Werke an, die frühe burleske Fantasie und die Drei Schattentänze. Damit setzt sich eine musikgeschichtliche Reihe markanter Beziehungen von Komponisten und Klarinettisten fort, die jeweils zu herausragenden Werken für dieses Blasinstrument geführt haben.
Allen Stücken an diesem Abend gemeinsam war die Suche des jeweiligen Komponisten, neue Techniken und Ausdrucksweisen herauszufinden. Insofern kann man durchaus von Avantgarde-Kompositionen sprechen. Dass das auf ganz unterschiedliche Weise geschieht, macht dann den Reiz des scheinbar langweiligen Ansatzes mit nur einem Instrument aus. So boten gerade die beiden letzten Stücke des Konzertes einen großen Gegensatz. Denn Widmanns Eigengewächs der Fantasie stellt im Vergleich zu den anderen Werken klanglich noch eine aus der Historie kommendes Werk dar, dass mit lebhaften Farben Figuren aus der Commedia dell‘arte aufspielen lässt. Atemwind dagegen folgt den Gedanken und Experimenten von Marc Andre zur Erkundung der Atmung und den damit verbundenen Geräuschen. Daher sind hier in größeren Passagen Geräusche anstelle von Tönen zu hören, die mit dem Mund oder dem Instrument durch spezielle Techniken erzeugt werden. In die Richtung zielt auch der letzte Schattentanz, Dance africaine, der mit ebensolchen Anforderungen an den Spieler verblüffend nahe die Trommeln des Schwarzen Kontinents nachahmt.
Weiter aufgelockert durch einige persönliche Worte zu Werk und Person zelebrierte Widmann die Werke unprätentiös im persönlichen Auftreten. Sicherlich mag es für die Darbietung helfen, mit allen Stücken eng verbunden zu sein und größtenteils den Entstehungsprozess zu kennen bzw. intensiv mit geprägt zu haben. Und diese Erfahrung und Zusammenarbeit hilft auch bei der Überwindung der unzähligen technischen Finessen, die gemeistert werden müssen. Aber wiederum muss man auch sagen, dass solche Anforderungen bei Widmann, der sicherlich einer der herausragenden Klarinettisten unserer Tage ist, mit Bravour bewältigt werden und er und die Zuhörenden sich voll und ganz auf die Musik konzentrieren können. Jedenfalls war neben einem kleinen körperlichen Transpirieren bei Jörg Widmann bis zum letzten Ton keine Abspannung oder geistige Ermüdung erkennbar, so dass dieser Kosmos Klarinette zwar nur den jüngeren Kosmos bot, den aber mit größter Intensität und Freude sowohl beim Präsentiereden als auch bei den Lauschenden. So ein Erlebnis äußert sich nicht darin, dass man die bekannten Melodien noch lange mit sich trägt und nachpfeift. Aber es bietet unterhaltsames nachhaltig wirkendes geistiges Futter höchster Qualität. Und doch auch Hörgenüsse, eben nur der unerhörten Art.