Vassily Sinaisky & Patricia Kopatchinskaja
(c) Philharmonie Luxembourg

Das City of Birmingham Symphony Orchestra gastierte mit Patricia Kopatchinskaja und Vassily Sinaisky in der Luxemburger Philharmonie. Uwe Krusch berichtet vom Konzert.

Nach der Absage der Musikdirektorin des Orchesters, die an Covid erkrankt ist, sprang Vassily Sinaisky als Dirigent ein. Damit verbunden war auch Änderung im Programm. Ob nun Sinaisky die geplante Sinfonie von Weinberg nicht kennt oder nicht mag, ist nicht bekannt. Jedenfalls nahm er stattdessen ein anderes, ihm wohlbekanntes Werk an den Anfang des Abends, nämlich Tchaikovskys Fantasieouvertüre Romeo und Julia. Ansonsten blieb es bei der 4. Symphonie des gleichen Komponisten am Ende und eingebettet in dessen Werke bei dem Violinkonzert von Igor Stravinsky, dessen Solopart Patricia Kopatchinskaja in Händen hatte.

Da dieses Gespann aus Orchester und Dirigent beide Werke von Tchaikovsky kurz vorher schon, etwa in Frankfurt am Main, aufführte, war insofern von dieser Seite ein gelungenes Ergebnis zu erwarten. Und das wurde auch geboten. Sinaisky entpuppt sich dabei als ein humorvoller, beim Applaus gerne zu einem Wortwechsel mit den Musikern aufgelegter, gestandener Dirigent. Seine Interpretationen vermittelte er, zumindest im Konzert, mit optisch eher auf eine demokratische Diskussion angelegten Handbewegungen ohne Bleistiftstummel oder auch Taktstock. Neben der manuellen Gestik nutzte er ebenfalls eine ausdruckstarke Mimik, um die Solisten oder Gruppen im Orchester anzuregen. Vom Einsatz dirigistisch herrschsüchtiger Mittel war er weit entfernt. Mit dieser charmant aufmunternden Attitüde spornte er das Orchester zu großer Leistung an.

Seinen Tchaikovsky ließ er mit freier Lunge ausgiebig atmen. Dabei legte er die Grenzen so an, dass die Musik von süßlich und süffig entfernt blieb. So formte er weitgespannte Erzählungen, die aber immer griffig klangen und nicht in Kitsch ertranken. Dabei hatte er auch ein Ohr darauf, die wenigen Momente, die die Kompositionen erlauben, milde und zart zu gestalten und leise Stellen auszukosten. Andererseits wusste er die massiven Passagen auch so wirkungsvoll zu präsentieren, dass die Musik ins Auditorium brandete, aber nicht zum konturlosen Tsunami wurde. Er hatte die gesamte Komposition so geordnet im Kopf, dass er den Ablauf in Spannungsbögen gestalten konnte und die Partitur wohl nur zur Sicherheit mitblätterte.

Das begeisterte Publikum erwirkte mit stehenden Ovationen als Zugabe am Ende das Stück Melodie von Myroslav Skoryk.

Vassily Sinaisky & Patricia Kopatchinskaja
(c) Philharmonie Luxembourg

Bereits zwei Zugaben hatte die Solistin Patricia Kopatchinskaja gegeben, nachdem sie ihren offiziellen Auftritt beendet hatte. Das Violinkonzert von Stravinsky ist insofern ein gemeines Solokonzert, als es keine Solokadenz enthält. Stravinsky hatte sich gegen eine solche entschieden, um dem Virtuosentum keinen Vorschub zu leisten. Trotzdem ist das Werk gespickt mit violinistischen Herausforderungen. In den beiden schnellen Ecksätzen kommt dies ebenso zum Tragen wie in den beiden als Aria I und II bezeichneten Mittelsätzen.

Kopatchinskajas Spiel war mitreißend. Wer klassische Musik als Hohetempel sieht, mochte schon von ihrer großgemusterten bunten Bekleidung abgeschreckt sein. Erst recht konnte ihre Mimik mit zwischen clownesk oder aufmerksamkeitsheischend wirkender Vollkörperbewegung, die dann auch wieder naiv tänzerisch wirkte, das Heben von Augenbrauen auslösen. Aber wer so verknöchert ist, dass er nur noch die Augenbrauen haben kann, sollte vielleicht bedenken, dass Musik Freude machen soll. Wenn Musiker stocksteif sitzen und spielen, kann die Musik auch nur verknotete Emotionen vermitteln.

Ich empfand Kopatchinskajas Auftreten jedenfalls als auffällig, ganz klar. Aber bei ihr begründet sich immer aus ihrem musikalischen Gedanken heraus. Dieses mitunter fast Ekstasehafte fand sich dann auch in ihrem Geigenspiel. Die Satzeinstiege in diesem Werk etwa boten mit drastisch einsetzenden gebrochenen Akkorden ihr gleich den Punkt, auf denselben zu kommen. Doch auch sie wusste ihre Kräfte nicht nur zu bündeln, sondern auch so zu verteilen, dass alle Charakterebenen des Konzertes zum Klingen kamen.

Hatte der junge Konzertmeister schon im Konzert mit ihr im Duo seine Fähigkeiten aufbieten müssen, so erging es ihm in der Zugabe nicht besser. Mit einigen einleitenden Worten erläuterte die Solistin das Fehlen der Kadenz bei Stravinsky. Gleichzeitig bot sie im Anschluss als Zugabe ihre Idee einer Kadenz an, die eben am kleinteilig wilden Schluss eine zweite Stimme einbezieht, was Stravinskys Vorgabe, er wolle keine virtuose Geige allein hören, aufnimmt. Natürlich verstößt Kopatchinskaja damit im gleichen Atemzug gegen diese Vorgabe, das aber gelungen. Für ihre zweite kleine Komposition, wie sie formulierte, ‘aus meiner Küche’, durfte dann der erste Klarinettist des Orchesters ihr zur Seite springen. Beide jungen Musiker wussten diese Rolle neben der kleinen großen Patricia kaum zu genießen.

Das Orchester zeigte sich in ausnehmend homogener Verfassung. Da saßen alle Zuspiele und gemeinsamen Passagen. Das Orchester zeigte eine vorzügliche Leistung, ohne zu brillieren. Mit warm spielendem Blech und mehr als soliden Holzbläsern waren die hinteren Reihen gut besetzt. Die Streicher durften dann insbesondere im Pizzicato ostinato des Scherzos der Sinfonie ihre Qualitäten beweisen. Mit fast unhörbarem Streicheln der Saiten ebenso wie mit kraftvollem Aplomb entwickelten sie eine beeindruckende Gestaltung des Zusammenspiels.

 

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