Zwei Werke von Komponisten der gleichen Generation, in denen beide endzeitliche Empfindungen vertonen, wurden in einem Konzert für die Philharmonie in Luxemburg gekoppelt und herausragend dargeboten, meint Uwe Krusch.
Stehende Streicher, die hufeisenförmig in einer Doppelreihe auf der Bühnenmitte angeordnet sind, dazu ein ohne Taktstock agierender Dirigent, lassen ein Barockkonzert eines Spezialensembles erwarten. Das ist bei einem der großen Symphonieorchester und Sir Simon Rattle dann aber nicht der Fall. Diese Anfangsaufstellung hat dennoch etwas von einem Spezialensemble des Orchesters, da von den 60 Streichern bzw. insgesamt 96 mitgereisten Musikern des ‘London Symphony Orchestra’ an dem Werk ‘Metamorphosen’ von Richard Strauss nur 23 Streicher beteiligt sind, die alle solistisch gefordert werden. Diese vom Komponisten als Studie bezeichnete Variationenfolge entstand zum Ende des zweiten Weltkriegs und trug bei ihm den Arbeitstitel ‘Trauer um München’. Sie drückt seine Verzweiflung um die Verluste durch den Krieg aus. Mit einem ungemein dichten, schwer durchhörbaren und trotzdem filigranen Stimmennetz hat Strauss hier ein Werk geschaffen, dass in ständiger Bewegung und Entwicklung die Aufmerksamkeit und volle Konzentration von Musikern und Hören fordert und dessen Themen trotzdem einem Ohrwurm gleich haften bleiben.
Die herausragenden Musiker stellen dieses Werk trotz aller Prägnanz im Spiel der einzelnen gerade solistisch agierenden Stimmen mit ungemein seidenweichem Gesamtklang dar und haben in Simon Rattle, der sich frei im Kreise der Musiker bewegt, einen Ideengeber und Inspirator und nicht einen Dirigenten oder gar Dompteur.
Das größere Werk, wenn man auf die Dauer und die Besetzung abstellt, ‘Das Lied von der Erde’ von Gustav Mahler, bietet dann allen mitgereisten Instrumentalisten und darüber hinaus den beiden Sängern, dem Tenor Simon O’Neill und dem Bariton Christian Gerhaher, den Raum, ihre Sicht der Musik zu Gehör zu bringen. Wieder einmal präsentiert sich das Spitzenensemble der Londoner Symphoniker mit elegantem und technisch makellosem Spiel. Feine Einzelleistungen in den Holzbläsern, auch den seltener besetzten Instrumenten wie Bassklarinette und Kontrafagott, und in den Blechbläsern wie den Posaunen ergänzen die in deutscher Aufstellung angeordneten Streicher, wobei die Kontrabässe an die Rückwand gewandert sind. Auch die voll besetzten Streicher behalten ihre präzise und fein artikulierte Spielweise, wie schon im Strauss erlebt, bei. Wie bei Mahler üblich, ist das groß besetzte Orchester nur selten in Klangballungen zu hören, es überwiegen klein und durchhörbar gestaltete Passagen, die von den Musikern erlesen beleuchtet werden.
Das ‘Lied von der Erde’ spannt über alle sechs Texte eine Melancholie aus Vergänglichkeit und Todesahnung. Insbesondere letztere war für Mahler seit seiner Lebenskrise 1907 eine sein Leben bestimmende und auch einengende Komponente. Diese persönliche Trauer und Angst verarbeitet er in diesem Liedzyklus. Er gibt die Texte in die Hände von zwei Sängern, die sich abwechseln. Den Anfang macht der Tenor Simon O’Neill, der sich im dicht gesetzten ‘Trinklied vom Jammer der Erde’ gegen das Orchester behaupten muss. In den anderen Sätzen wirkt die leichtere Struktur zugunsten der Sänger. Der erste Eindruck ist, dass O’Neill diesen Anforderungen gewachsen ist, aber auch stark gefordert ist. In seinen späteren Partien relativiert sich dieser Eindruck. Seine Stimme wirkt im Vergleich mit dem anderen Sänger weniger lyrisch und nuanciert. Auch vom Ausdruck her ist sie direkter.
Der zweite Sänger, Gerhaher, hat schon wegen des letzten langen Satzes den größeren Teil zu tragen. Der auch als Liedsänger prominente Bariton kann die größere Textverständlichkeit und die feinere Diktion für sich reklamieren. Beide Sänger wissen die Stimmungen der Musik intensiv darzustellen.
Bezeichnend ist, dass man den Dirigenten fast vergessen hat. Natürlich ist ein Dirigent bei so einem Werk unabdingbar, um die verschiedenen Stränge zusammen zu halten. Aber bei versierten Künstlern und einem der Musik dienenden Maestro wird diese so eminent wichtige Rolle so dezent ausgeführt, dass sie fast verschwindet. Aber ohne die ordnenden Gesten und die inspirierende Mimik wären solche Ergebnisse nicht möglich.
Das Publikum in der vollbesetzten Philharmonie in Luxemburg dankt mit intensivem Applaus auch im Stehen.