Ein Trio namhafter Künstler sowie sechs weitere Musiker boten im Kammermusiksaal der Philharmonie ein wort- und tonmächtiges Programm, das neben zwei neu zu hörenden Kompositionen auch mit einer Lesung einen Kontrapunkt zum Üblichen setzte. Was es bei diesem Antikriegsgedanken auf die Ohren gab, berichtet Pizzicato-Mitarbeiter Uwe Krusch.
Noch während die solistischen ‘Tutti’-Musiker die Bühne betreten, fängt der Perkussionist schon an, kriegerisch anmutende Schlagmuster zu setzen, in die hinein der erste Solist sich dazugesellt. Es ist der an diesem Abend dreifach beanspruchte Daniel Hope, der als Geiger und musikalischer Leiter sowie später am Abend auch als Soldat agieren und sprechen wird. In den abebbenden Applaus rennt Katja Riemann mit den geschrien Worten ‘Es lebe der Krieg’ auf die Bühne. Danach trägt sie zur Eröffnung des Abends Auszüge aus dem Trauerspiel von Goethe vor, das am Anfang des achtzigjährigen Krieges in Brüssel spielt. Aus Goethes Konzeption ergibt sich, dass er kein Geschichts-, sondern ein Charakterdrama verfasst hat. So wird der Egmont bei Goethe auch durch seine Humanität und nicht durch seine Taten dargestellt.
Diesen ganzen Komplex kann die Rezitation von Katja Riemann allerdings nur anreißen. Mit enormer Bühnenpräsenz und exzellenter Artikulation fängt sie die Aufmerksamkeit des Publikums ein, bis die Musiker übergangslos die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Die Musiker sind neben dem Geiger Daniel Hope sechs weitere Instrumentalisten, deren Instrumente sich aus dem Abschlusswerk des Abends, der Geschichte vom Soldaten von Igor Strawinsky bestimmen. Es sind der Kontrabass als zweiter Streicher sowie ein Schlagzeuger mit Instrumentenbatterie und die Bläser Klarinette, Fagott, Trompete und Posaune. Während der Schlagzeuger aus Norwegen stammt, haben die anderen ihren Lebensmittelpunkt in Frankreich und sind allesamt in führenden Orchesterpositionen oder solistisch aktiv.
Dass dieses Kammerensemble die ‘Egmont’-Ouvertüre von Beethoven intoniert, führt zu einem doppelten Hörerlebnis. Zunächst kurz zu einem « das erkenne ich gar nicht“, anschließend zu einem « natürlich ist das der Egmont“. Eine solche Reduktion eines Orchesterwerks auf eine kleine Besetzung hat verschiedene historische Vorbilder, vielleicht am ehesten den von Arnold Schönberg gegründeten Verein für musikalische Privataufführungen. War damals der Antrieb, moderne Musik im kleinen Rahmen kennen lernen zu können, so stand hier primär der Ansatz, die Komposition zusammen mit der von Stravinsky präsentieren zu können. Eine solche Version bietet immer den Vorteil, etwas mit neuem Anspruch zu hören, da die Struktur leichter durchhörbar wird und sich aus den wenigen Instrumenten Verteilungserfordernisse ergeben, die zu kreativen Anpassungen zwingen. Insofern kam dem Schlagzeug hier eine besondere Rolle zu, da er einige Effekte beisteuern konnte wie auch die anderen Musiker ein funkelendes Zusammenspiel entfalten durften. Diese Instrumentierung von Jan Müller-Wieland ist als eine gelungene und punktuell auch als ironisch ansehbare Bereicherung willkommen.
Ohne Pause schloss sich dann das Hauptwerk an, nachdem noch der dritte Solist, Thomas Quasthoff, sich hinzugesellt und Hope für seine Rolle als Soldat eine Uniformjacke angelegt hatte. Damit hatte das Theater seine vollständige Besetzung erreicht. In einer halbszenischen Darstellung, die von Peter Jordan und Leonhard Koppelmann eingerichtet worden war, sprachen und spielten Hope als Soldat, Katja Riemann als Teufel-in und Thomas Quasthoff als Erzähler die im Werk angelegten Rollen. Dabei durften sie auf einen von Peter Jordan aktualisierten Text zurückgreifen. Dieser belässt es zwar bei den Vorgaben der Geschichte, fasst sie aber in ein aktuelles Sprachmuster, das mitunter auch als flapsig, burschikos oder auch ansatzweise freizügig umschrieben werden darf.
Dabei spielten sich die drei Akteure die Bälle mitunter Schlag auf Schlag zu und schufen so ein munteres Spiel mit Worten und Gesten. Während Hope auch mit seiner Geige jonglieren musste, der in dem Werk eine nicht zu unterschätzende solistische Rolle zukommt, hatte Riemann in jedem Sinne alle Freiheiten, um sich auch tanzend, agierend und auch im tête-à-tête mit dem Schlagzeuger darzustellen.
Man mag die Textmodernisierung diskutieren, aber mir scheint eine solche zeitgemäße Anpassung in diesem Kontext durchaus zulässig, da die Sprache zwar Teil des Gesamten ist, aber nicht der markante. Anders wären Verfremdungen von gerade auf dem sprachlichen Ausdruck basierenden Stücken, wie z. B. Egmont, die man mit sprachlichen Amputationen oder Schönheitsoperationen à la Gendergerechtigkeit sicherlich nur verstümmeln kann. Aber das ist ein anderes Thema.
Alle drei sprechenden Solisten brachten ihre Beiträge mit ausgezeichneter Gestaltung über die Rampe, Quasthoff besonders sonor, Hope mit charmant englischem Akzent und Riemann mit teuflisch damenhafter Eleganz. Die Einheit von Hope als Rolle und Geiger biot den großen Vorteil, dass er eben das Spiel nicht mimen musste, sondern gerade der besondere Klang ‘seines’ Spiels mit ‘seiner’ Geige im Unterschied zu dem Spiel des Teufels eine überzeugende Natürlichkeit hat.
Bei all dem uneingeschränkten Lob für die Hauptakteure dürfen die Musiker des Kollektivs nicht außer Acht bleiben. Ihre solistischen Rollen erforderten auch bei Ihnen uneingeschränkte Aufmerksamkeit, die auch keine Ablenkung durch das Geschehen vor ihnen auf der Bühne zuliess. Da darf man versichern, dass sie ihre Parts ebenfalls mit beeindruckendem Können und auch einem schelmischen Ansatz, wie er in manchen Momenten der Partituren angelegt ist, wahrnahmen und so auch den Abend schmückten.
Ein besonderer Abend außerhalb des Alltags der Philharmonie schloss mit strahlenden Gesichtern auf der Bühne und im Publikum und großem Applaus für großartige Leistungen.