Unter den gegebenen Umständen darf man immer froh sein, wenn ein Konzert erfolgreich im wahrsten Sinne des Wortes über die Bühne geht. Wenn man selber aus einem genussreichen Abend mit dem Aris Quartett kommt und dann die Nachricht von der Absage der Donaueschinger Musiktage wegen des Beherbergungsverbotes liest, ist der Abend nachträglich noch mehr in guter Erinnerung. Uwe Krusch berichtet.
Wie immer in dieser Konstellation, hatte das Aris Quartett ein modernes Werk im Gepäck. Sozusagen passen wohl junge Künstler zu jungen Werken. Die Uraufführung von ‘in-side’ aus der Feder der japanischen Komponistin Misato Mochizuki ist ein sieben Minuten langes Werk, das für sich allein stehen kann, aber auch als vierter Satz des Streichquartett-Zyklus Brains gesehen werden will. Obwohl man sich bei dem Titel schon das schlimmste verkopfte Konstrukt vorstellen mag, war dem überhaupt nicht so. Mochizuki beschäftigt sich sehr vielseitig mit außermusikalischen Themen und für dieses Werk sind das zwei auf den ersten Blick so entgegengesetzte, dass man sich fragen konnte, wie sie zusammen kommen. Einerseits, daher der Zyklus-Titel, verfolgt die Komponistin die aktuelle Hirnforschung. Bei diesem Satz floss die Erkenntnis ein, dass das Gehirn Musik nicht an einem Punkt verortet, sondern Melodie und Rhythmus in verschiedenen Arealen verarbeitet. Ein weiterer Aspekt dieser Zweiteilung ist der Bezug auf die alte japanische Diskussion, dass eine Gottheit sich eine zweite als Alter Ego schafft, mit dieser aber eine Einheit bildet und nicht etwa einen Widersacher schafft.
Der wissenschaftliche und der mythologische Ansatz zusammen münden in einem Werk, dass mit klopfenden Rhythmen auf dem Corpus des Cellos beginnt, bis die zweite Geige das vorher angelegte Alter Ego hervorholt, bis dann die beiden ausstehenden Instrumente sich hinzugesellen. Allein schon der ungewohnte perkussive Beginn schafft augenblicklich eine Aura, die sich später aus dem Rhythmischen in eine schwebend flirrende Bedeutungsebene entwickelt. Selten waren sieben Minuten nach nur gefühlten zwei schon vorbei. Das Aris Quartett konnte mit der Komponistin in Anbetracht der Weltlage nur mit Hilfe elektronischer Medien Kontakt aufnehmen. Trotzdem gab es keine Zweifel, dass die vier Musiker in die Schichtungen dieses Werks eingedrungen sind und es ohne Einschränkungen präsentieren konnten. Ihrem Spiel und Eintauchen in die Musik ist es sicherlich nicht hinderlich, dass sie im Stehen spielen.
Bei ihrem ersten Besuch in Luxemburg hatten die Vier noch das achte Quartett von Shostakovich und das nominell dritte von Mendelssohn Bartholdy aufgelegt. Was alle drei Interpretationen eint, ist der klassisch elegante Ansatz. Die Künstler interpretierten die Werke mit reifer Feinheit, die Übertreibungen und Zuspitzungen ausschließt. Und trotzdem kam es nicht mal zum Sekundenschlaf des Auditoriums, weil es dem Quartett trotz der so edlen Darstellung gelang, die Ausdruckswelten so auszuloten, dass keine Zeit blieb für gedankliche Abschweifungen, weil das Spiel in seinen Bann zog.
Auch das Werk von Shostakovich hat zwei Ebenen. Es sind die offiziell im Stalinismus gehörte und darunter die persönliche, um nicht zu sagen autobiographische des Erschaffers. Innerhalb der fünfteiligen Bogenform stellten die Aris Musiker die Kontraste zwischen freitonalen, dissonanten Bildungen und reiner Tonalität ebenso markant heraus, wie sie die die Klanghärten des zweiten Satzes meißelten, die als Metaphern für faschistische Gewalt zu verstehen sind. Dem jüdischen Klagegesang kommt die Aufgabe des Protestes zu, den sie in aller Unschuld zeigten. Die folgende ironische Banalität leitet wiederum über zu den perkussiven Akkordschlägen als Bild einer Hinrichtung, was die vier Frankfurter unschwer erkennen ließen. Die am Schluss stehende Dissonanz, die sich ersterbend auflöst, ließen sie wirkungsvoll mit verharrender Haltung im Raum stehen, bevor das Publikum befreit applaudieren konnte.
Das Quartett von Mendelssohn Bartholdy wirkte nach so viel Hintersinn im Gehörten dann fast rein virtuos, zumal man es bösartig als Violinkonzert mit beigefügtem Streichtrio titulieren könnte. Das ist zwar maßlos übertrieben, aber die erste Geigerin Anna Katharina Wildermuth wusste auch diese Anforderungen unspektakulär großartig umzusetzen. So entfalteten sie eine dichte Version dieses fein gearbeiteten Werks, das Mendelssohn selber sehr schätzte.
Anders als bei manchen großen Namen im ABC der Quartettvergangenheit fällt überhaupt die rein sachdienliche Hinwendung an die Musik auf, die mit uneitler Selbstdarstellung kombiniert ist. Der Klang des Ensembles ist homogen geprägt und lässt doch dem Einzelnen die Offenheit, sich hervorzuheben, wo es musikalisch gefordert ist. Das sorgfältige Miteinander, das rege Kommunikation einschließt, führt zum ausgefeilt harmonischen Miteinander. Nach bisher gut einem Jahrzehnt hat dieses Quartett hoffentlich noch einen weiten und guten Weg vor sich.
Auf dem Programm steht er seltener, aber in den Zugaben wie auch hier taucht Schulhoff oft auf. Mit dem ‘Alla czeca’ aus den fünf Sätzen bot das Aris Quartett dann noch eine hochmotivierte und feurig gestaltete Zugabe, die das Publikum vollends begeisterte.