Nun also hat das ‘rainy days’-Festival schon das erste Wochenende erlebt. Was es zu berichten gibt, vermittelt Uwe Krusch für Pizzicato. Vielleicht lassen sich die ersten Tage als Ausleuchtungen von speziellen Aspekten zusammenfassen.
Es begann am Freitag mit dem Brückenschluss (!sic) mit der Schlussveranstaltung des ‘red bridge project’ und gleichzeitig dem Auftakt der ‘rainy days’. Das ‘red bridge project’ hatte sich dem Künstler William Kentridge gewidmet. Er selbst brachte in professoral einstudierter Manier die Ursonate von Kurt Schwitters zu Gehör. Diese in einer Ausprägung des Dadaismus komponierte Wort-Musik kommt ohne Musik im engeren Sinne aus, bildet aber eine beinahe Sonatensatzform mit sinnlosen Buchstabenkombinationen, die durch Wiederholung und auch Änderung die Entwicklung von Musik nachbilden. Begleitet wurde diese als ‘Vorlesung’ gestaltete Version, wie es sich heute gehört, von einer visuellen Präsentation. Dabei überblendete Kentridge Lexikonseiten mit seinen Kohlezeichnungen sowie Fotos und Animationen. Am Ende kommt es dann doch noch zu einem wirklich musikalischen Punkt, wenn Ariadne Greif mit ihrer Sopranstimme in den Vortrag verstärkend oder auch eigenständig eingreift. Unterstützt wird sie von Igor Semenoff auf einer Strohgeige und Peter Kuit als Stepptänzer. Eine auch in ihren Längen beeindruckende Adaption dieses Werkes, die nachwirkt.
Am Samstag stand der Musiker Anthony Braxton bei seinem Erstauftritt in der Philharmonie im Mittelpunkt. Der mit hunderten von Kompositionen aktive Künstler schafft mit seinen Werken aus musikalischen Kondensationskernen, man könnte sie salopp auch Themen nennen, Konstruktionen. Dabei werden Haupt- und Nebenabzweigungen vom Kern geschaffen, die auch durch Improvisation noch weiter gefüttert werden können. Dabei schöpft er aus einem weiten Kosmos an Anregungen, die sicherlich zuerst im Bereich des Jazz zu suchen sind, aber auch Pop, Weltmusik und die nicht zuletzt zeitgenössische Klassik etwa von Stockhausen oder Xenakis aufnehmen.
So muss sich jeder Aufführende, hier zunächst der Braxton Spezialist und E-Gitarrist Kobe Van Cauwenberghe und ein von ihm handverlesenes Ensemble in den Proben auf den grundsätzlichen Weg einigen, der dann spontan noch bereichert wird. Einer dieser Keime ist die ‘Ghost Trance Music: Composition 255’. Das Ensemble mit Saxophon, Tuba, Violine, Kontrabass, Klavier und Schlagzeug neben E-Gitarre schuf daraus einen einstündigen Gebirgsmarathon, der in seiner Komplexität auch aufmerksame Zuhörer fordert.
Der Samstagabend stand im Zeichen von Anthony Braxton als komponierender Saxophonist. Mit dem Diamond Curtain Wall Trio schuf er zusammen mit Susana Santos Silva, Trompete und Adam Matlock, Akkordeon und Stimme, eine ebenfalls einstündige heftig fordernde Klanglandschaft. Diese Musik bot sicherlich in ihrer Komplexität einerseits und ihrer durch die Klangnatur beiden Blasinstrumente miteinander mitverursachten Monochromie eine wahre Herausforderung fürs Ohr. Da fühlten sich einige Dutzend Zuhörer überfordert und verließen das Konzert vorzeitig. Erstaunlich ist dabei weniger, dass bei dieser Musik mancher flüchtet, sondern dass in Zeiten des Internets, wo vorab Hörbeispiele auch mit diesem Trio zu finden sind, sich Menschen in ein Konzert verirren, von denen man schon vorab erwarten mochte, dass sie sich unwohl fühlen würden. Sei es drum, Irrtümer passieren und sind nicht dem Veranstalter anzulasten.
Der Sonntag zeigte dann wiederum andere Aspekte und mit dem Ciné-Konzert einen krönenden Zwischenabschluss.
Der Spätnachmittag stand ganz im Zeichen der Querflöte. Neben den beiden Flötisten Markus Brönnimann, Mitglied des Philharmonischen Orchesters Luxemburg, und Aniela Stoffels, gebürtige Luxemburgerin, jetzt eher in der Schweiz zu finden, war hörbar Noise Watchers Acousmonium beteiligt. Das thematisch über dem Konzert stehende ‘Strange Birds‘ eröffnete als Uraufführung der Komponistin Evelyn Ficarra den Reigen. Mit Flötenimprovisationen aus Ausgangsmaterial bringt sie andere Klangmaterialien zusammen, die eine technische-natürliche Hörerfahrung vermitteln. Die vielfältigen Geräusche und Töne boten immerhin eine intensiv die Vorstellungswelt jedes Zuhörers anregende Palette an Ideen. Wenn auch die Details im Augenblick der Aufführung von der Komponistin beeinflusst werden, so bietet die leere Bühne, nur mit Lautsprechern bestanden, zwar eine hochwertige akustische Widergabe.
Aber die Leere hinterlässt die Frage, ob das gute Hören allein das Fehlen von Musikern ausgleicht. Was ist daran noch Konzerterlebnis? Vielleicht, dass trotz der Abdunkelung der Raumbeleuchtung das Reden im Publikum weiterlief, obwohl die Musik schon leise eingesetzt hatte. Da kein ‘Auftritt’ erfolgte, die Lautsprecher waren ja schon da, hatte allein das Dimmen des Lichts das Auditorium noch nicht fokussiert. Da kann man ja auch nicht von alleine drauf kommen, dass die Verdunkelung etwas zu bedeuten haben könnte.
Ein ebenfalls allein mit Einspielungen auskommendes Werk war das ebenso erstmals erklingende Digital Alliance von Damiano Picci. Hier haben die dunkler temperierten Klänge eher den Charakter isländischer Indipendent Music, etwas abgeschwächt für den allgemeineren Geschmack.
Die beiden Flötenspieler traten dann auch optisch und akustisch zusammen nur bei Toru Takemitsu auf, der mit seinem im Kontext beinahe schon alten Werk, immerhin rund 60 Jahre, Masque vertreten war. Mit seiner zart ausformulierten Komposition bezieht er sich auf die Masken des japanischen Marionettentheaters. Im ornamentisch arabesken Miteinander schufen Brönnimann und Stoffels ein Gespinst, das sich vom zartesten kaum hörbaren Tonfaden bis hin zu klaren Szenen inszenierte. Aniela Stoffels allein war dann, mit elektronischer Umspielung, in Claude Lenners Espace Hybride zu erleben. Beide verbindet eine lange Wegstrecke, so dass Stoffels mit ihrer aufmerksam zugewandten Spielweise den Dialog mit dem künstlichen Klang und damit ihr eigenes Spiel entwickelt, ohne sich selbst dabei zu verlieren.
Anteilig das halbe Konzert entfiel dann noch auf Jupiter op. 15a von Philippe Manoury. Hier bewegte sich Markus Brönnimann im gleichen kompositorischen Umfeld des Gesprächs zwischen Mensch bzw. Flöte und Maschine. Dabei sind die von Manoury angezeigten Wege ganz anderer Natur als bei Lenners. Ein anregender und klangvoller Nachmittag mit der Flöte, deren Wesen gern mit Natur und Hirtenwesen assoziiert wird, bot verschiedene Ansätze, um die Verbindungsmöglichkeiten mit der Technik aufzuzeigen. Von den auffällig vielen jungen Zuhörenden lauschten fast alle zumeist gebannt und ruhig, was auch für die Qualität der Werke spricht. Und dieses Konzert bot auch die Hörerfahrung, dass ein nicht speziell auf die Flöte ausgerichteter Zuhörer wegen der herausragenden Leistungen der Interpreten ein ebenso nuancenreiches wie anziehendes Konzert erleben durfte.
Vielleicht der Höhepunkt des ersten Wochenendes der ‘rainy days’ folgte im Abendkonzert. Der fast 100 Jahre alte Stummfilm ‘Das alte Gesetz‘ mochte manchen im nicht mit Publikum überquellenden großen Saal abgehalten haben, zu kommen. Aber diese ‘olle Kamelle’ erwies sich als nach wie vor ansprechender Film höchster Klasse. Sicherlich muss man einige Umstände berücksichtigen, wie etwa den, dass die vom Theater kommenden Mimen aus heutiger Sicht völlig übertrieben mit Mimik und Gestik arbeiteten. Andererseits war das nicht störend bzw. zusammen mit den zwischendurch eingeblendeten Texten sogar hilfreich, um die Gefühlsebenen besser zu deuten. Eine weitere Bereicherung bot die von Philippe Schœller komponierte Musik, die vom Ensemble Recherche mit der Leitung von Nacho de Paz eine ebenso subtil distanziert wie gleichzeitig stimmungsvoll eine untermalende Ebene in Noten bot, die sozusagen die Kolorierung zu den Bildern lieferte. Am Ende konnte sich das Publikum nicht sofort, anders als im Kino, erheben, sondern musste erst seine Emotionen lösen.