Ouvertüre-Konzert-Symphonie: eine klassische, möglicherweise sogar konventionelle Konstellation, die jedoch bei Musikliebhabern stets großen Erfolg genießt, wie der großartige Musikabend vom vergangenen 17. September 2024, im großen, vollen Saal der Luxemburger Philharmonie, bewiesen hat – eine musikalische Soiree, die mit gewaltigen und verdienten Ovationen eines auf dem Höhepunkt des Glücks angelangten Publikums endete. José Voss berichtet.
Könnte man sich einen schöneren Auftakt für ein Konzert vorstellen als den römischen Karneval von Hector Berlioz, eine Ouvertüre, die es in sich hat und die, seit ihrer Entstehung im Jahre 1844, nichts von ihrer hypnotischen Kraft eingebüßt hat. Ihre Uraufführung hatte einen so durchschlagenden Erfolg, dass sie sofort wiederholt wurde. Am Pult des London Symphonic Orchestra verleiht Antonio Pappano, ein Berliozianer bis in die Fingerspitzen, dieser berauschenden, mediterranen Evokation die nötige Begeisterung und Verrücktheit.
Nach diesem erlesenen Paradestück, einem wahren Klangfeuerwerk, ist es Zeit für Rachmaninows 1. Konzert für Klavier und Orchester, in dem Yuja Wang, die neue chinesische, durch Adoption New Yorkerin gewordene Starpianistin, den Hörern, dank einer außergewöhnlichen Virtuosität (was sie zu einer Art weiblicher Lang Lang macht), förmlich Notenschauer in die Ohren schickt. Ohne systematisch zu überzeugen, beeindruckt Miss Wang mit ihrem eindrucksvollen Engagement, welches von einer derart körperlichen Intensität ist, dass es Berge versetzen würde. Darüber hinaus fügt sich ihr teuflisch anziehendes Spiel (manchmal klar und perkussiv, von robuster Vitalität in den schnellen Episoden, manchmal geschmeidig und katzenartig, in den langsamen Teilen), gespickt mit schönen Momenten der Introspektion und elegischer Poesie, nicht nur hervorragend in das kontrastreiche Universum des russischen Komponisten ein, sondern vermittelt dem Zuhörer, weil es so hinreißend, fesselnd wie ein flackerndes Irrlicht ist, ein Gefühl seltener Perfektion.
Mehr als einmal ist man erstaunt über die starke Präsenz der Künstlerin auf der Bühne, über ihre phänomenale technische Leistung. Es hat den Anschein, als würde sich die unerschrockene und äußerst virtuose Wang, die von der angelsächsischen Presse den Spitznamen ‘Flying Fingers’ erhalten hat, in einem permanenten Zustand der Gnade befinden, und als wäre sie mit wahrhaft übermenschlichen Mitteln ausgestattet. Was viele Pianisten für unspielbar halten, ist für sie sozusagen ein Kinderspiel, so etwas wie eine Warm-up-Runde! Ihre Darbietung besticht durch ihre unglaubliche Leichtigkeit, getragen von sonniger Freude, ständiger Sorge um Nuancen, gelungener Balance zwischen Kühnheit und dramatischer Einheit, wirkungsvoller Vielzahl von Diskantstimmen, warmen Tönen ohne Affektiertheit, tief in der Klaviatur verankerten, donnernden Bassklängen. Es braucht nicht mehr, damit die Magie wirkt, ungeachtet der Tatsache, dass Rachmaninows Erstes Klavierkonzert, aufgrund einer gewissen Heterogenität der Ideen und einiger Inspirationslücken, im Vergleich zu den drei folgenden Konzerten, alles andere als das geliebteste der Reihe ist. Bevor es in die Pause ging, erklatschte sich das Publikum, als doppeltes Sahnehäubchen auf dem musikalischen Kuchen, noch zwei Zugaben: Rachmaninovs Prélude in g-Moll, op. 23, Nr. 5 und Glass’ Étude Nr. 6.
Den Beginn der zweiten Konzerthälfte markiert ein Wiedersehen bzw. -hören mit einem unübertrefflichen Meisterwerk des Mainstream-Repertoires. Dem Gedenken an den gerade verstorbenen Franz Liszt gewidmet, ist die Symphonie Nr. 3, mit Orgel, ein meisterhaftes Stück der Postromantik, in dem Camille Saint-Saëns, nach eigener Aussage, alles gab, was er geben konnte. Das Werk ist denn auch ein außergewöhnlicher Regenbogen an Gefühlen. Es beginnt mit einem düsteren Präludium mit der Überschrift Adagio, das zu einem gequälten, auf einem mit dem gregorianischen Dies irae verwandten Motiv aufbauenden Allegro moderato führt, welches, in ständiger Verwandlung begriffen, die gesamte Komposition durchzieht. Mit seiner meditativen Schwere ist das Poco Adagio Bruckner würdig. Umso auffälliger ist der Kontrast zum darauffolgenden tanzenden Scherzo, als plötzlich ein kraftvoller Orgelakkord das grandiose Finale einleitet, in dem, überraschenderweise, der gewiefte Maestro (der, unter anderen Umständen, eher mit gedämpfteren Klängen vertraut ist) unverfroren zu superlativen Tonausbrüchen greift. Im Endeffekt ergibt sich demnach ein Klanggemälde von überragender Macht und überwältigender Pracht, welches in eine höchst sonore (ein wenig pompöse) Coda mündet, die ein erhabener, in strahlendem C-Dur schallender und durch einen enormen « point d’orgue » (wörtlich und im übertragenen Sinne) überproportional erweiterter Schluß krönt.
Die glänzende Orchestrierung und, vor allen Dingen, die farbenfrohe romantische Schuke-Orgel der Philharmonie bilden wahrlich einen Ohrenschmaus. Letztere, zumal in den Händen einer schillernden Persönlichkeit wie Anna Lapwood, einer Multi-Instrumentalistin (sie spielt – sage und schreibe – 15 verschiedene Instrumente, darunter Klavier, Geige, Bratsche, Harfe, Schlagzeug !), aber hauptsächlich Organistin, während sie gleichzeitig Dirigentin, Komponistin, Arrangeurin und, in ihrer Freizeit, sogar Redakteurin ist). Die Britin spielt ohne überflüssigen Schwung, im Gegenteil, mit jener Diskretion, die hier erforderlich ist, da in dieser Orgel-Symphonie, das Königsinstrument bloß eine Farbe unter anderen in der üppigen Palette des Klangmalers ist. Was die Organistin, welche, überdies, von einer hochkarätigen Phalanx von jenseits des Ärmelkanals bestens unterstützt wird, nicht daran hindert, durch klangvolle Inkarnation, strahlende Präsenz zu bestehen, ohne jedoch allzu stark die Punkte und Akzente in den ihr zugewiesenen musikalischen Phrasen zu markieren.
Zu guter Letzt, noch eine köstliche kleine Anekdote. Als Reaktion auf die Bemerkung eines Jurymitglieds eines internationalen Orgelwettbewerbs, welches ihr geraten hatte, ‘mehr wie ein Mann’ zu spielen, startete die tapfere Anna, die sich nicht täuschen ließ, in den sozialen Netzwerken den Hashtag #Playlikeagirl und organisierte prompt, ab 2018, jedes Jahr einen ‘Bach-a-thon’, d.h. eine Interpretationsssitzung, bei der alle Orgelwerke des ‘Mannes, der zu Gott sprach’ gespielt werden – ein Festival, zu dem einundzwanzig, ausschließlich weibliche Organistinnen die Willkommenen sind!