Im zweiten Teil der Präsentation der Klaviersonaten von Franz Schubert hatten die Solistin Mitsuko Uchida und das Publikum in der Philharmonie in Luxemburg einen Marathon zu bewältigen, den alle mit Begeisterung und Intensität auf sich genommen haben, schreibt noch außer Atem, aber voller Endorphine, Uwe Krusch.
Manchmal hat man den Eindruck, dass die Fabel von Hase und Igel auch in der Musik gilt. Immer, wenn es um eine bedeutsame Musikgattung geht, war Beethoven schon da. Neben Streichquartett und Symphonie gilt dies auch für die Klaviersonate. Dabei kann man durchaus verschiedene Reaktionen beobachten. Ist Brahms vor dem Giganten bei der Symphonie zusammen gezuckt, so stellt sich Schubert bei den Klaviersonaten ganz selbstbewusst dagegen und schafft als Gegenentwurf einen seinen eigenen Gesetzen gehorchenden Kosmos.
Wahrlich kosmisch in der Ausdehnung war auch das Programm der drei bei ihrem zweiten Auftritt dargebotenen Sonaten, der frühen Sonate in H-Dur, D. 575 und der beiden späten als ‘Première’ bzw. ‘Seconde Grande Sonate’ von Schubert veröffentlichten Sonaten in a-Moll D. 845 und D-Dur D. 850. Wären schon die beiden letztgenannten Werke mit knapp 50 bzw. 40 Minuten Spielzeit allein schon für einen solistisch auftretenden Musiker eine große Aufgabe gewesen, so stellte Uchida noch das fast halbstündige H-Dur Werk voran und bedankte sich bei dem frenetisch applaudierenden Publikum noch mit einer Zugabe, deren spielerisch leicht klingende Präsentation sozusagen einen milden Abschluss bildete.
Nicht als Marathon, jedoch als wandernd könnte man Schuberts Kompositionsstil bezeichnen. Denn gerade in dem mitunter ziellos wirkenden formalen Aufbau liegt ein Spezifikum seines Gegenentwurfes, der auch heutzutage in der auf Stringenz und Effizienz getrimmten Zeit eine Korrektur liefert. Schubert agiert eher im Kleinen mit der trippelschrittweiten Entwicklung, die immer neue Lichtkegel setzt oder die Perspektive unmerklich aber deutlich verschiebt. Dabei entwickeln sich dann die von Robert Schumann so betitelten ‘himmlischen Längen’ auch in den Klaviersonaten.
Diese weite Wanderung nimmt Mitsuko Uchida trotz ihrer zart erscheinenden Erscheinung mit so großer Gelassenheit auf, dass sie die lange Strecke eher noch zu beflügeln scheint als zu belasten. Wenn man beim Wandererbild bleiben möchte, beschwert sie kein Rucksack, aber sie bekommt trotzdem durch die Musik die Stärkung und gewinnt die Zuversicht, die sie leicht und beschwingt ans Ziel kommen lässt.
Natürlich sind ihr technische Grenzen gesetzt, da ein heutiger Konzertflügel, der das Volumen für das große Haus zulässt, von seiner Farbigkeit nicht an die zu Zeiten Beethovens und Schuberts im Salon verwendeten Klaviere heranreicht, die leiser waren, aber mehr klangliche Nuancierungen zuließen. Aber trotzdem zaubert Uchida daraus eine solche Palette an differenzierten Stimmungen, dass man diese Begrenzung nicht wahrnimmt. Vielmehr geht man als Zuhörer liebend gern den Weg mit Seitenästen und Stolpersteinen sowie markanten, überraschenden und hörenswerten Wegpunkten mit und genießt den Ausflug. Das liegt dann auch daran, dass es der Pianistin gelingt, trotz der vielen kleinen darzustellenden Preziosen nicht den Weg im Detail zu verlieren, sondern auch die Gesamtstrecke mi Blick zu haben und zusammen zu halten.
Ein begeistertes Publikum und eine sich dafür japanisch höflichst zurückhaltend bedankende Mitsuko Uchida bilden das Abschlusspanorama eines bereichernden Abends.