Nach dem einleitenden Beethoven Quartett hielt sich der Applaus noch in Grenzen. Bei den beiden nachfolgenden Werken von Ravel und Shostakovich brach er sich aber Bahn. Pizzicato-Mitarbeiter Uwe Krusch kann diese Entwicklung bestätigen, die beim Konzert des ‘Jerusalem Quartet’ eintrat.
In dem den Abend eröffnenden Quartett A-Dur op. 18/5 von Ludwig van Beethoven spiegelt sich die gesamte noch junge und doch schon hochentwickelte Geschichte des Streichquartetts. Beethoven spürte gerade in diesem eher selten aufgeführten Werk seinem großen Vorbild Mozart nach, seinem in der gleichen Tonart stehenden Quartett KV 464. Und die Quartette KV 458, 464 und 465 wiederum hatte Mozart seinem Vorbild Joseph Haydn zugeeignet. In einer noch klassisch gehaltenen, wenn auch nicht emotionsarmen Interpretation arbeiteten die vier Musiker die Eigenarten des Werkes heraus, die in den ersten beiden Sätzen ganz klar Mozart nachzeichnen und erst in der weiteren Entwicklung die Weiterentwicklung in der eigenen Handschrift des aus Bonn stammenden Komponisten zeigen.
In chronologischer Reihenfolge schloss sich das rund ein Jahrhundert jüngere Quartett von Ravel an. Dieses solitäre Werk brachte dann die große emotionale Erweiterung und damit auch interpretatorischen Entwicklungssprung. Hier stürzten sich die vier Musiker in die emotionalen Gestaltungen und gestalteten eine in mittelmeerischen Farben leuchtende Darstellung, die sowohl in den Lautstärkerelationen eine breiteste Palette ausloteten als auch sonst alle Schattierungen und Entwicklungen mit großer Intensität nachzeichneten.
Auffallend positiv war das stupende Zusammenspiel, das natürlich und zwanglos daherkam und entspannt wirkte und nicht einmal Platz für den Schmutz unterm Fingernagel ließ. Trotzdem waren alle Beteiligten jederzeit makellos auch als einzelne Stimme hörbar, so dass dieser Aspekt der durchlässigen Verschmelzung geradezu den Ohren lustvoll schmeichelte. Es sei jedoch angemerkt, dass das Quartett insgesamt derart starke Klänge erzeugen kann, dass die Ohren der Hörer mitunter auch malträtiert werden, weil Intensität und Lautstärke zusammen derart dick werden, dass ein Weniger ein Mehr an Struktur und Klarheit bedeuten würde. Wirklich leise Stellen gab es außer bei wenigen Momenten im Ravel nicht.
Den krönenden Abschluss des Abends schuf das ‘Jerusalem Quartet’ mit dem zweiten Quartett von Shostakovich, das noch einmal rund vier Jahrzehnte später entstanden ist. Wie schon bei der Eröffnung steht auch dieses Werk in der von Mozart geliebten heiteren Tonart A-Dur und es ist ebenfalls ein Stück, welches sich auf dem Spielplan selten finden lässt.
In diesem Werk hört man anfangs und im vierten Satz slawische Anklänge, möglicherweise patriotisch zu verstehen. Shostakovich widmete es seinem Freund Schebalin, nachdem ihn dieser ans Moskauer Konservatorium berufen hatte. Das Werk beruht, wie die Satzbezeichnungen vermuten lassen, auf klassischen Formen, die allerdings mit Affekten im barocken Sinn und mit Expressivität angereichert werden. Opernhaft mit Ouvertüre, Rezitativ und Arie beginnend, entwickelt sich ein regelrechter Sonatensatz, bei dem ungewöhnlicher weise die Exposition wiederholt werden soll. Das Adagio beruht auf dem barocken Schema von Rezitativ und Arie. Dieser Satz ist von Klage bestimmt; die in einem taktlos notierten Rezitativ von der Violine vorgetragen wird. Der folgende Walzer zeigt ein für Shostakovich nicht seltenes Verfahren, denn das vermeintlich Heitere wird ins Gegenteil verkehrt. Hier ist es das spukhaft Unheimliche, das mit einem dramatischen Mittelteil eine Art fahlen Totentanz zeigt. Für das Finale wählte Shostakovich Variationen über ein von der Viola vorgetragenes Thema. Die Verarbeitung führt weg zu einem großen Höhepunkt, bevor zum Schluss das Adagio zurückkehrt.
Für dieses beinahe vierzig Minuten dauernde Stück konnten die Musiker des ‘Jerusalem Quartet’ erneut ihre bereits beschriebenen hochklassigen Qualitäten ausspielen, so auch die Bratsche in ihrem Solo im Abschlusssatz. Erneut waren tiefreichende Stimmungen handwerklich umzusetzen, was wiederum beeindruckend gelang, erneut mit dem Hinweis auf die mitunter zu gewaltige Dimensionierung des Ausdrucks. Nach der Durchwanderung dieser tiefen Schluchten menschlichen Empfindens hatte das Quartett mit über neunzig Minuten Spielzeit und einem derart emotional bindenden Werk einen solch überzeugenden und abschließenden Punkt gesetzt, dass eine Zugabe mehr gestört hätte als zusätzlichen Genuss zu bieten.