In der Reihe ‘Rising Stars’, an der auch die Philharmonie Luxemburg partizipiert, werden natürlich junge Nachwuchskünstler präsentiert, die noch nicht auf eine lange, aber vielleicht trotzdem schon erfolgreiche Karriere zurückblicken können. Und damit ist es für den Zuhörer etwas anderes, als etwa am Vorabend bei Vladimir Ashkenazy, denn er weiß nicht, worauf er sich einstellen muss. Was es mit dem ‘Quatuor Arod’, also einem Streichquartett, auszuhalten oder zu genießen gab, berichtet für Pizzicato Uwe Krusch.
Um mit dem Gesamteindruck des Konzerts vorwegzunehmen, das Werke von Haydn über Schumann bis Webern bot und dazu noch als aktuell entstandenes Werk das Quartett von Benjamin Attahir, kam mir der Vergleich mit belegten Brötchen bei manchem Schnellimbiss in den Sinn. In Norddeutschland sind Brötchen mit Garnelen, allgemein als Nordseekrabben bezeichnet, beliebt. Diese Meerestiere haben einen intensiven eigenen Geschmack, der am besten zur Geltung kommt, wenn sie pur oder mit einer leichten Butterschicht auf dem Brötchen serviert werden. Leider bieten manche Imbisse auch Versionen an, die dick mit ekliger Mayonnaise aus dem 5 kg Eimer bestrichen sind und damit alles übertünchen und das Wichtige überdecken. Warum kam mir dieser Vergleich in den Sinn? Später werde ich noch ausführen, dass es im Grunde ein toller musikalischer Genuss gewesen wäre, wenn nicht …, ja wenn nicht die Mayonnaise gewesen wäre. Die vier jungen Musiker, alle Anfang zwanzig, strotzen vor Kraft, Intelligenz und Selbstbewusstsein. Dieses übertrug sich dergestalt auf ihr Spiel, dass dieses so Testosteron geschwängert [sic] war, dass die Musik damit zugedeckt wurde. Besonders nachteilig wirkte sich das auf Haydn und Schumann aus. Beide Werke leben auch von der Delikatesse und Feinheit, mit der sie gespielt werden. Daran fehlte es hier. Dass das vielleicht auch ein Eindruck allgemein war, mag man an dem freundlichen, aber auch Mayonnaise freien Applaus gemerkt haben.
Das 2013 gegründete ‘Quatuor Arod’ hat schon etliche Preise, so vor zwei Jahren den ersten beim Internationalen Musikwettbewerb der ARD in München gewonnen. Die vier in Paris ansässigen Musiker treten in einheitlicher Kleidung mit dunkelblauem Jacket, Monogramm am Hemdenaufschlag und Manschettenknöpfen auf, sie legen also Wert auf ein aufmerksamkeitsheischendes Erscheinungsbild. Das spiegelt sich auch in ihrem Spiel, das in den fünf Jahren ihres gemeinsamen Weges schon zu einem atemberaubenden Zusammenhalt geführt hat. Mit exquisiter Intonation und nahtlos geführtem Zusammenspiel stellen sie manches ältere Ensemble in den Schatten.
Mit Joseph Haydn beginnt nach verbreiteter Lesart die Geschichte des Streichquartetts, auch wenn es vorher schon Werke in dieser Besetzung gab. Mit dem späten Quartett op. 76 Nr. 6 eröffneten die Musiker den Abend. Und das Konzert endet mit dem ersten der Quartette von Robert Schumann. Ihre Qualitäten entfalten sie in beiden Werken und zeigen klar strukturierte Gestaltungen, die von überzeugendem Zusammenspiel geprägt werden. Ja, wenn nur das gelbliche matschige Lebensmittel nicht wär.
Mehr klassische Zurückhaltung bei Haydn und auch eine leichtere Hand bei Schumann mit eingehegtem Herangehen hätten den Genuss noch deutlich erhöht. Zwar möchte ich der Jugend auch ihren Elan und ihre Spritzigkeit, die ja schon im Namen des Quartetts, nämlich Arod, dem Pferd von Legolas aus ‘Der Herr der Ringe’ von Tolkien, angelegt ist, zugestehen. Doch unbändige Kraft ist dann doch zu viel des Guten. Und eine gemäßigte Vorgehensweise bedeutet ja nicht altbackenes, sondern sensibel ausgeleuchtetes Spiel.
In diese beiden frühen Vertreter der Gattung waren die moderneren Beiträge eingebettet. Der langsame Satz von Anton Webern zeigte zwar auch die kräftig gezeichneten Stellen, aber es wurden ebenso einige feine Augenblicke mit der überzeugenden Delikatesse Richtung Unhörbarkeit sensibel ausgespielt, so dass dies an diesem Abend positiv auffällig wurde.
Vor der Pause wurde das Publikum mit dem Quartett ‘Al Asr’ von Benjamin Attahir bekannt gemacht. Dieses Werk des französischen Komponisten, der nur unwesentlich älter als die Musiker des Quartetts ist, ist Teil einer Pentalogie, die den täglichen islamischen Gebetsrhythmus erkundet. Ganz unterschiedlich sind die Besetzungen der fünf Werke, dieser Teil für ein Quartett ist dem Nachmittagsgebet Al Asr gewidmet. Attahir bedient sich weitgehend klassischer Spieltechniken, wenn man etwa das Bogenschlagen battuto und auch einige geräuschhafte Effekte noch darunter fasst. Die Tonalität verlässt natürlich die klassischen Bahnen, ohne jedoch Grenzen auszuloten. Arabischer Musik folgende Momente werden dezent eingefügt. Das Werk ist größtenteils sehr quirlig und intensiv. Das Werk beginnt trotz der sofort einsetzenden Betriebsamkeit ein wenig tastend und schiebt Floskeln zusammen, aus denen sich erst im Verlaufe eine musikalisch stringente Entwicklung herausschält. Eine hörenswerte Komposition, die genau so viel Anerkennung durch Applaus fand wie die anderen Werke. Und in diesem Kontext verfing auch die Spielweise der vier Musiker. Diese Visitenkarte gefiel uneingeschränkt.
Die Zuhörer im gut besuchten Kammermusiksaal der Philharmonie konnten durch ein neues Werk einen jungen Komponisten und im Konzert ein junges Ensemble kennenlernen. Von beiden wird man noch hören. Der Imbiss des Rezensenten nach dem Konzert war übrigens mayonnaisefrei.