Ursprünglich sollte das Philharmonische Orchester Luxemburg (OPL) am Freitagabend im Rahmen des Festivals Rainy Days ein Konzert geben, dass traditionell Teil der Reihe für die groß besetzten modernen Werke ist. Nun hatte Corona das Festival hinweggefegt. Was das Orchester unter demselben Gastdirigenten Markus Stenz aufs Programm gesetzt hatte, berichtet Uwe Krusch für Pizzicato.
Vielleicht aus Angst vor den Aerosolen haben die Umstände bisher die Streicher des OPL bevorzugt. Nun durfte man die Blechbläser trotz des an diesem Abend trotz des nieselnden Novemberwetters sozusagen in venezianischer Klangpracht erleben. Zehn Trompeter, Posaunisten inklusive Tuba und Hornisten waren zu jeweils fünft auf beiden Türmen seitlich der Bühne positioniert und ließen drei Werke von Giovanni Gabrieli erschallen. Dabei darf man diesen Begriff nicht missdeuten im Sinne übertriebener Laustärke und sauber austarierten Klang, dass es mehr als überfällig war, sie auch einzubeziehen. Minimale Abweichungen bei den Einsätzen zwischen den beiden waren der weit entfernten Aufstellung geschuldet. So war es zumindest im früheren Auftritt des Abends. Aber alles in allem gaben sie mit festlichem Ton einen tollen Einstieg in den Abend, der als Ouvertüre zu einem Fest im Schlosspark gepasst hätte.
Die Musiker hatten auch ein Stück Moderne vorbereitet, allerdings ein anderes als zunächst geplant. Mit ‘Carlo’ stand eine Komposition von Brett Dean auf dem Programm, die neben Streichern noch einen Sampler einsetzt. Dieser steuert neben Chor- und Sologesang auch Vogelstimmen und Geräusche bei. Der Stückname und damit auch diese Zuspielungen reflektieren auf Carlo Gesualdo, den italienischen Fürsten und Komponisten, der eine über sein direktes Wirken hinausgehende Bekanntheit als Mörder seiner Frau und ihres in flagranti erwischten Liebhabers erlangt hat. Ob er dabei selber die Messer führte oder adelige Freunde, wurde nie geklärt, da Duelle in Adelskreisen außerhalb der Rechtsordnung gehandhabt wurden.
Die dazu gesetzte Musik von 15 Streichern bewegt sich in sehr zurückhaltenden dynamischen, um nicht zu sagen, mitunter kaum hörbaren, Bewegungen, die neuzeitlich und andere, die andeutungsweise fast lieblich klingen, treffen aufeinander. Für alle Musiker gibt es solistische Aufgaben wahrzunehmen, aber auch chorische Passagen. Der früher in Berlin als Bratscher aktive australische Komponist hat für zwanzig Minuten Dauer ein feingliedriges Stück geschaffen.
Das ist insofern relevant, als Carlo 1997 als « musikalische Fantasie komponiert wurde, die versucht, in Gesualdos Gedankenwelt einzudringen, während er sich auf sein Verbrechen vorbereitet. Dean bezieht sich auf Gesualdos Sechstes Buch der Madrigale und eine Passage aus dem zweiten Nocturne der Tenebrae Responsoria. Die Verbindung von Gesualdos Musik und seinem Leben und seiner Zeit ist naheliegend, da die Texte seiner letzten Madrigale, vermutlich von ihm selbst verfasst, voll von Anspielungen auf Liebe, Tod, Schuld und Selbstmitleid sind. Aus dem Kontrast zwischen Gesualdos Chormusik und Deans Schreiben für die Streicher werden zwei Epochen gegenübergestellt und vereint. Neben purem Gesualdo führen instrumentale Anmerkungen und verschmierte chromatischen Akkordfolgen zu einer Verbindung der beiden Ebenen.
Die ausgewählten Streicher des Orchesters widmeten sich der Partitur mit Aufmerksamkeit. Die jeweiligen solistischen Passagen wurden passend zusammengefügt. Daraus entsteht eine Kollage, die genaues Zuhören verlangt, allein schon wegen der oft minimalen Lautstärke. Die wenigen Dutzend Zuhörer nahmen das Werk, gemessen am Applaus, mit Zustimmung auf.
Zum Abschluss dirigierte der Gast Markus Stenz die letzte der Londoner Symphonie von Joseph Haydn, die 104, die von dritten den Beinamen ‘Salomon’ nach einem Konzertveranstalter erhielt. Man kann sagen, dass sie die Summe des kompositorischen Könnens Haydns sowohl in handwerklich-kontrapunktischer Hinsicht als auch der typischen Ausprägung der Fähigkeit, diese gestalterische Brillanz mit einem populären musikalischen Idiom zu paaren. Hier konnte das in den Ecksätzen von Stenz mit flotten Tempi geforderte Orchester mit lebhaftem Spiel diese Vorgaben umsetzen. Im Andante, wiederum mit einemschrittfesten, nicht gemächlichen, Tempo, stellten sie die Eigenarten dieses untypischen Variationssatzes heraus. Das Menuett gab dann noch Gelegenheit, die eher volkstümliche und beschwingte Seite der Musik zu zeigen.
Dieses Programm war natürlich kaum etwas für die auf das Zeitgenössische Musik spezialisierten Zuhörer, aber die waren wohl auch mindestens teilweise durch ein normaleres Publikum abgelöst worden, denen diese Konzert drei Musikepochen an einem Abend in respektablen Leistungen bot.