Es erscheint mir wichtig, an dieser Stelle zuerst den Pianisten Anderszewski zu Wort kommen lassen: « Ich habe mich lange gefragt, bis zu welchem Ausmaß Bachs Präludien und Fugen aus dem Wohltemperierten Klavier für das Konzertpodium geeignet sind. Obgleich sie bewusst in einer logischen chromatischen Abfolge veröffentlicht wurden, scheint mir, dass die Stücke in dieser Anordnung emotional und musikalisch nicht zwangsläufig so aufeinanderfolgen müssen. Abgesehen davon, möchte ich Werke von einer derart großartigen Architektur und Ausdrucksvielfalt – Werke, die dem Interpreten und dem Hörer nahezu grenzenlosen Raum zur Erkundung bieten – unbedingt spielen und mit dem Publikum teilen.
Schaut man hinter den gelehrten Kontrapunkt, den diese Werke entfalten, stellen sie sich für mich als Charakterstücke dar, und während ich sie studiert habe, erkannte ich, wie wichtig es ist, jedem Fugenthema einen jeweils eigenen Charakter zuzuteilen (Bach lässt uns hier völlige Freiheit, es gibt keinerlei Angaben des Komponisten). Ich bin überzeugt, dass man, um die ganze architektonische Präzision und Schönheit dieser Werke zu zeigen, ihre bestimmten Eigenarten von der ersten Stimme an, die jede Fuge einleitet, bis zum Ende des Stückes möglichst streng durchführen muss.
Ich habe mich dafür entschieden, 12 Präludien und Fugen aus Teil 2 in einer von mir gewählten Abfolge zusammenzustellen, die manchmal auf der Verwandtschaft von Tonarten beruht, die auf eine natürliche Weise miteinander funktionieren, und manchmal auf Kontrasten, die die Stücke unwiderstehlich miteinander zu verbinden scheinen. Indem ich diese Werke in dieser besonderen Abfolge spiele, möchte ich eine Dramatik erzeugen, die einen Zyklus andeutet: 12 Charakter, die miteinander konversieren und einander spiegeln. »
So der Pianist über seine Kürzung dieses gewaltigen Bach-Werkes, das mit seiner Gesamtdauer von fast zweieinhalb Stunden (nur Band II) im Konzertsaal kaum integral an einem Abend aufgeführt werden kann.
Anderszewski ist als Bach-Interpret ein Feingeist, so wie es Andras Schiff oder Nikolai Lugansky auch sind, Interpreten, die ganz auf die Form der Kompositionen vertrauen und jeder für sich seinen eigen Klang und seine eigene Dynamik entwickelt. Anderszewski überzeugt mit einem technisch brillanten und glasklaren Spiel, dessen Stärke in der Gegenüberstellung von musikalischer Erzählkunst und spielerischer Brillanz, von strenger Formtreue und ungebundener Leichtigkeit liegt. So erlebt der Hörer während 78 Minuten einen Reigen vollendeter Miniaturen, die zudem in dieser Konstellation der Präludien und Fugen eine große innere Geschlossenheit, einen noblen Gestus und eine intensive emotionale Tiefe erreichen. Ein musikalisches Erlebnis der besonderen Art!