SWR Music legt eine weitere Box mit Aufnahmen des Dirigenten Michael Gielen auf. Es gibt darin bekannte, also bereits veröffentlichte, sowie bislang unveröffentlichte Aufnahmen. Und es gibt hervorragende wie auch höchst unbefriedigende Interpretationen.
Auf der ersten CD erklingt Janaceks ‘Glagolitische Messe’ in einer recht feierlich-expressiven Interpretation, in der Gielen die scharfen Klänge abrundet und erwärmt. So zeichnet sich diese Aufnahme durch einen sehr lyrischen, andererseits großsymphonischen Interpretationsansatz aus. Spannend und dramatisch dirigiert Gielen die ‘Taras-Bulba’-Suite desselben Komponisten.
Moderne amerikanische Musik bietet die zweite CD mit schillernden Interpretationen von Ives’ ‘Central Park in the Dark’, Varèses ‘Arcana’ und Colin Mc Phees ‘Tabuh-Tabuhan’. Diese drei Stücke werden zum ersten Mal veröffentlicht.
Die 3. CD ist ganz Debussy gewidmet, mit dem Oratorium ‘Le Martyre de Saint Sébastien’ (ohne Narration) in einer emphatisch-dramatischen Interpretation. Passt diese Emphase zum ‘Martyre’, so ist sie in den ‘Nocturnes’ natürlich völlig unangebracht. Entsprechend unwohl fühlt sich der Hörer in der fremdartig wirkenden Aufnahme dieses Stücks.
Die 4. CD ist vielleicht die interessanteste und beste der ganzen Box: sie beginnt mit drei wirklich spannend gespielten Busoni-Stücken (Berceuse élégiaque, Nocturne symphonique, Sarabande und Cortège) und enthält auch eine der besten Interpretationen des Klavierkonzerts von Max Reger mit dem allzu früh verstorbenen südafrikanischen Pianisten Steven de Groote (1953-1989), wunderbar strukturiert und differenziert. So kommen die Kontraste zwischen höchster Dramatik und eloquentester Zartheit bestens zum Ausdruck. De Groote kann ganz schön aufdrehen, aber er versinkt auch in einer bewegenden Zartheit, so perfekt die dynamischen wie auch emotionalen Gegensätze, des Konzerts verdeutlichend.
Ein Highlight auf der 5. CD ist Franz Schrekers 18 Minuten dauerndes Vorspiel zu einem Drama, das Gielen dramatisch steigert und sehr transparent werden lässt, ohne die Klangdichte zu vernachlässigen. Mit viel Leidenschaftlichkeit und Ausdruckskraft dirigiert er Hindemiths Symphonie ‘Mathis der Maler’ an der Spitze des exzellenten Rundfunk-Symphonieorchesters Saarbrücken.
Mit Opernszenen und Liedern wirkt die CD Nr. 6 ein bisschen exotisch in diesem Kontext. Es sind Audio-Auszüge aus Fernsehproduktionen, von denen nur die beiden ‘Wesendonck’-Lieder ‘Der Engel’ und ‘Träume’ sowie das ‘Wiegenlied’ von Richard Strauss mit Waltraud Meier Interesse verdienen. Zum Schluss erklingt noch der bislang nicht veröffentlichte Livemitschnitt von ‘Tod und Verklärung’. Gielen dirigiert das Strauss-Werk sehr sensibel, die Orchesterleistung ist aber eher bescheiden.
Ravel bewunderte Stravinsky, und beide Komponisten haben sich gegenseitig Werke gewidmet. Ravel war sogar bei der Uraufführung des ‘Sacre du Printemps’ dabei und reagierte so begeistert, dass ihn die entrüstete-Sitznachbarin als ‘sale juif’ beschimpfte. Muss deshalb Ravel musikalisch wie Stravinsky behandelt werden? Muss ‘Daphnis et Chloé’ so expressiv gespielt werden wie der ‘Sacre’? Für meinen Geschmack macht Michael Gielen ein bisschen zu viel in seiner expressionistisch-emphatischen Wiedergabe des Ravel-Balletts. Wenig attraktiv sind auch die plumpen ‘Valses nobles et sentimentales’ und die schrecklich ‘realistische’ Wiedergabe von ‘La Valse’.
In hohem Maß ungewohnt und erstaunlich erklingt Scriabins 3. Symphonie, die Gielen recht verspielt und mit einer gewissen Portion Naivität dirigiert. So wird m.E. Scriabin wohl im Grunde verfälscht, das Ernsthafte seiner Exzentrik verleugnet, aber rein musikalisch gesehen ist das Ergebnis durchaus nicht uninteressant.
Und so drängt sich am Ende die Feststellung auf, dass diese 7. Folge der Gielen-Edition zwar neue Aspekte zu des Dirigenten Repertoire liefert, gleichzeitig aber auch die Grenzen seines Interpretierens aufzeigt und damit an dem Monument kratzt, das man ihm – und Pizzicato gehört dazu – wegen seiner Mahler-, Bruckner- Brahms- und Beethoven-Interpretationen errichtet hat.
The 7th box of SWR Music’s Gielen Edition contains some surprising repertoire and at the same time it shows that the conductor hat not the same supremacy in everything he conducted.