Sind Grieg und Sibelius die einzigen Vertreter einer nationalen Musik des Nordens? Für viele mag die Aufzählung da schon enden, aber es gibt noch andere Komponisten, die man mit diesen Schlagworten verorten kann. Dazu gehört der Este Heino Eller, der als Komponist und als Lehrer von Pärt, Sumera und Tubin für sein Heimatland prägend war, sowohl während der Unabhängigkeit Anfang des letzten Jahrhunderts als auch unter den Repressalien von Stalins Sowjetunion. Als Beispiel dafür mag sein Werk ‘Heimatmelodie’ (Kodumaine viss) gelten, das in seiner Stellung und Wirkung mit ‘Finlandia’ von Sibelius vergleichbar ist.
Sein Kompositionsstil ist sehr persönlich und so nur annähernd einzugrenzen. Er kombiniert nationale mit modernen Elementen, so dass es ihm gelingt, expressionistische und impressionistische Farben zu mischen. Die vier eingespielten Werke zeigen exemplarisch die orchestralen Wege von Eller. Dabei wird auch deutlich, dass sein Schaffensprozess immer wieder zu Revisionen geführt hat, so dass etwa das Violinkonzert nach einigen Jahren und danach nach knapp drei Jahrzehnten nochmals überarbeitet wurde, woran verschiedene äußere Einflüsse Anteil hatten.
Mit einer einfacheren Gestaltung zeigt die unvollendete Zweite Symphonie eine Seite an Eller, die sonst weniger zu finden ist. Auffallend ist, dass er im Staat der Sänger nur instrumentale Werke geschaffen hat.
Dass diese Musik in der Welt wenig bekannt ist, mag auch daran liegen, dass es immer lokaler Interpreten bedarf, die sich ihr annehmen. Das ‘Estnische Nationale Symphonieorchester’ hat in seinem Landsmann Olari Elts einen weltbekannten und versierten Dirigenten. Es gelingt ihm, analytisch, mikroskopisch detaillierte Darstellungen zu gestalten, die aber immer auch noch mit Spontanität und frischem, lebendigem Leben funkeln. Auch Eller wird durch sein Dirigat und das engagierte und technisch reife Spiel des Orchesters exzellent aufgefaltet, ohne dabei den Fluss des musikalischen Gedankens zu schwächen.
Für das Konzert und die kurze Fantasie wurde mit der aus dem benachbarten Lettland stammenden Baiba Skride eine der großen Solistinnen unserer Zeit gewonnen. Sie serviert die charmante und einfache Fantasie mit der angemessen feinen Eleganz. Das Konzert, übrigens das erste estnische Werk dieser Gattung, dagegen ist mit seiner ungewohnten und nur mit guter Strukturierung gestaltbaren Aussage sowohl eine technische Herausforderung als auch gestalterische Aufgabe. Hier überzeugt sie mit in die Tiefe eindringender Durchleuchtung und natürlich über jeden Zweifel erhabener Technik.
Zusammen mit der technischen Makellosigkeit der Aufnahme ist so ein wunderbares Plädoyer für Heino Eller entstanden, das mit der ‘Symphonischen Legende’ auch eine Ersteinspielung aufweist.