Nachdem der Pianist Pawel Kuschnir in einem russischen Untersuchungsgefängnis an den Folgen eines Hungerstreiks starb, haben sich Musiker wie Martha Argerich, Daniel Barenboim und Simon Rattle sich in einem offenen Brief vor seinem Mut und seiner Menschlichkeit verneigt. Kushnir war im Mai verhaftet und wegen „öffentlicher Aufrufe zu terroristischen Aktivitäten“ angeklagt worden.

Aus Betroffenheit über seinen Tod initiierte der Pianist Alexander Melnikov einen offenen Brief, der von namhaften Musikern unterzeichnet wurde, und der in der Frankfurter Allgemeinen veröffentlicht wurde.

Hier ist dieser Brief:

„Hallo! Mein Name ist Pawel Kuschnir. Von Beruf bin ich Pianist (ich habe keine Angst vor diesem Wort), und ich arbeite als Solist der Philharmonischen Gesellschaft der Stadt Kursk.“

So beginnt einer der Briefe des neununddreißigjährigen Pianisten, Schriftstellers und Aktivisten Pawel Kuschnir, der kürzlich in einem Gefängnis in Birobidschan nach einem trockenen Hungerstreik starb. Er saß dort in Haft und wartete auf seinen Prozess wegen seiner Kritik am Krieg der russischen Regierung. Sein Verbrechen bestand darin, einen Youtube-Kanal mit fünf Abonnenten betrieben zu haben, in dem er sich gegen den Krieg aussprach. Die Geschichte von Don Quijote wiederholt sich – mit einem katastrophalen Ende, das unglücklicherweise für das Leben typischer ist als für die Literatur.

Wir sind ebenfalls Musiker. Auch wenn es schwerfällt zu schreiben, zu denken, zu existieren, da wir einem so allumfassenden Bösen ausgesetzt sind, müssen wir Stellung beziehen. Nichts wird Pawel Kuschnir zurückbringen. Wir schreiben hier, um an ihn zu erinnern, und wir schreiben wegen der zahllosen unbekannten politischen Gefangenen in Russland wie überall in der Welt. Die größte Tragik in Pawels Leben besteht vermutlich darin, dass wir erst jetzt begreifen, was für ein bemerkenswerter Künstler, Schriftsteller und Denker er war. Wir kannten ihn einfach nicht. Das muss uns daran erinnern, dass der perverse „Auswahlprozess“ der Strafverfolgungsbehörden dazu führt, dass die wunderbarsten und furchtlosesten Menschen ins Gefängnis geworfen werden, oft die besten Menschen einer kranken Nation. Sie haben sogar weniger Chancen, von einem Gefangenenaustausch zu profitieren, als die Personen, die wir aus den Medien kennen – aber wir dürfen sie nicht vergessen.

In dem höllischen Kaleidoskop von heute, inmitten von Fake News, falscher Moral und falschen Werten, sind wir fast taub geworden. Wenn wir dann plötzlich einen fernen, schönen Ton hören, der seiner Bescheidenheit zum Trotz das allgegenwärtige höllische Tosen und Klirren übertönt, verneigen wir uns vor jenen Helden und Visionären, die sich in ihrer verzweifelten Einsamkeit für die Menschheit aufopfern und den höchsten Preis zahlen.

  • Martha Argerich, Daniel Barenboim, Elena Bashkirova, Boris Berman, Andrey Boreyko, Yefim Bronfman, Isabelle Faust, Julia Fischer, Sol Gabetta, Kirill Gerstein, Vladimir Jurowski, Igor Levit, Alexei Lubimov, Mischa Maisky, Alexander Melnikov, Anne-Sophie Mutter, Emmanuel Pahud, Sir Antonio Pappano, Sir Simon Rattle, Sir András Schiff, Katia Skanavi, Andreas Staier.
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