Von Ponchielli gewissermaßen gezwungen, schrieb Giacomo Puccini 1884 die Oper Le Villi, die er beim Sonzogno-Wettbewerb einreichte. Das Werk sollte nicht gewinnen, war aber bei der Uraufführung recht erfolgreich.
Nach diesem Erfolg nahm der berühmte Mailänder Verleger Giulio Ricordi Puccini unter Vertrag. Doch Arrigo Boito, Ponchielli und nicht zuletzt Ricordi baten Puccini aus dem laut Wettbewerbsregeln entstandenen Einakter einen abendfüllenden Zweiakter zu machen. Doch trotz dieser unglaublichen Chance kamen für Puccini magere Jahre. Von den Tantiemen, die Le Villi einbrachte, konnten er und Elvira Bonturi, die Frau eines reichen Industriellen, die aus Liebe zu Puccini gezogen war, nicht leben. Auch seine zweite Oper, Edgar, 1889 uraufgeführt, wurde kein Erfolg. Erst Manon Lescaut, 1893 in Turin uraufgeführt, brachte Ruhm und Geld.
Mit Manon hatte Puccini den Stoff gefunden, der ihm lag. Er selbst hatte einmal gesagt: « Ich will die Oper aus dem Himmel, vom Olymp herunter auf die Erde bringen. Ich werde die Halbgötter, die Helden und Heldinnen hinauswerfen, und echte kleine Menschen an ihre Stelle setzen, die echte kleine Sorgen haben. Mein Thema wird der Hunger sein, Kälte, Elend, Krankheit, Liebe und Eifersucht. Ich will auch keinen Applaus ernten, sondern Tränen, statt des Heldentums will ich die Menschlichkeit auf die Bühne bringen, wirkliches Leben, statt der Legenden. » Vielleicht ist darum die Feenoper Le Villi nie ein bekanntes Werk geworden.
Im Haus des Försters Guglielmo Wulf feiert man die Verlobung seiner Tochter Anna mit Roberto. Roberto muss bald danach einer Erbschaft wegen nach Mainz reisen. Dort verfällt er einer Verführerin und lebt mit dieser zusammen. Anna fühlt sich von ihm verraten und stirbt aus Gram. Ihre Seele vereinigt sich mit den Willis, den Seelen toter Frauen, die ein ähnliches Schicksal erlitten. Guglielmo beschwört den Geist seiner Tochter, sich zu rächen. Roberto kehrt voller Reue zurück, wird von den Willis in einen rasenden Tanz verwickelt und bricht tot zusammen.
Opera Rara legt mit dieser Produktion die einaktige Originalfassung vor. Mit einer Spieldauer von etwas mehr als 45 Minuten ist es eigentlich ein sehr unvollständiges Stück mit ‘Handlungslöchern’. Aber es hat den Reiz des nie Gehörten, es präsentiert die Musik des jungen Puccini, in der man all das schon hört, was aus ihm keine zehn Jahre später den großen Veristen machen sollte.
Obschon die Urfassung genau wie die zweite Version Le Villi hieß, hat Opera Rara diese Aufnahme mit Le Willis bezeichnet, angeblich, um sie von der zweiaktigen Fassung zu unterscheiden.
Dass die CD 65 Minuten dauert, also so lang ist wie die meisten zweiaktigen Aufnahmen der Version von 1889 liegt daran, dass als Appendix ca. 20 Minuten aus eben dieser späteren Fassung zu hören sind.
Puccinis Le Villi braucht, genau wie Edgar, ein herausragendes Ensemble, damit der in ihrer kompositorischen Qualität noch nicht ganz so entwickelten Oper zur Wirkung verholfen werden kann. Das ist hier gegeben.
Mark Elders Dirigat strotz von Kraft und Frische, das London Philharmonic spielt federnd und farbenreich. Der Chor ist exzellent und die Solisten warten mit beachtlichen Leistungen auf. Der armenische Tenor Arsen Soghomonyan klingt zwar manchmal etwas angestrengt, aber sein Roberto hat, aufs Ganze gesehen, doch Format. Die albanische Sopranistin Ermonela Jaho kann sowohl als reale wie auch als Geister-Anna überzeugen. Brian Mulligan ist ein guter Vater Guglielmo.
Das Album enthält ein mehrsprachiges Booklet mit Angaben zum Werk und dem ganzen Libretto.