Eine Gesamtaufnahme aller Streichquartette von Dmitri Shostakovich ist ein großer Brocken, doch wenn man mit dem ersten Quartett in der neuen Einspielung des Quatuor Danel startet, besteht kein Zweifel, dass man sich während der rund sechs Stunden nicht langweilen wird.
Die Quartette zählen nicht nur allgemein gesehen zu den bedeutendsten der Literatur, sie sind auch gewissermaßen eine klingende Autobiographie. Guy Wagner hat das in seiner Rezension der ersten Gesamtaufnahme des Quatuor Danel bei Fuga Libera so beschrieben: « Sie sind ein Selbstzeugnis, das zu den erschütterndsten überhaupt gezählt werden muss: Zeugnis des Kampfes und Leidens eines Komponisten innerhalb eines Unterdrückungssystems, dem der Einzelne wehrlos ausgeliefert war. Shostakovich aber hat durch seine Musik verdeutlicht, was dieses System darstellte und wie man sich durch das Kreative zur Wehr setzen konnte. »
Die Interpretationen des Quatuor Danel (damals in leicht anderer Besetzung) bezeichnete Wagner als eine nicht ganz homogene Einspielung.
Nun erklärt Marc Danel im Booklet der Neuaufnahme die Notwendigkeit einer weiteren Einspielung so: « Die Interpretation dieses außergewöhnlichen Zyklus, den wir inzwischen weit über dreißigmal auf der ganzen Welt gespielt haben, ist wie ein lebendiger Körper. Er verändert sich ständig. Die Mitglieder des Amadeus-Quartetts haben uns einmal in Zusammenhang mit den Beethoven-Quartetten, die sie insgesamt dreimal eingespielt haben, gesagt: ‘Die Aufnahmen befruchten die Konzerte und die Konzerte die Aufnahmen.’ Da ist etwas dran. Auch für uns gibt es in Sachen Schostakowitsch keinen Stilstand: Die Auseinandersetzung mit dieser Musik, ist wie ein Gral – die Suche und das Experimentieren mit neuen Dingen nehmen kein Ende. Außerdem unterscheidet sich unsere Interpretation heute sehr von der vor siebzehn Jahren, was sicher auch daran liegt, dass Vlad und Yovan zwischenzeitlich dazu gestoßen sind. »
Bereits im zweiten Quartett höre ich, dass das, was mein Kollege damals als zu reliefarm bezeichnete, deutlich gewachsen ist, und die Danels spielen dieses Quartett und insbesondere den zweiten Satz mit packender und teilweise verstörender Expressivität, um das Tragische dieses 1944 entstandenen Quartetts vollauf zum Ausdruck zu bringen.
Dasselbe gilt für das dritte Quartett, in dem stoisch repetitive Bewegungen durch eine klangliche Transparenz und Aufwertung gerade der beiden tiefen Streicher eine ganz neue Sicht auf dieses Werk erlauben. Im dritten Satz sind wir dann schon fast bei der expressiven Kraft der 10. Symphonie angekommen.
Im vierten Quartett mit seinen Klagen, seiner Trauer, seinem Biss (im dritten Satz) und der Betonung der jiddischen Atmosphäre im Finale erreicht das Quatuor Danel größte Eindringlichkeit.
Die Quartette Nr. 5 und 6 lassen interpretatorisch keine Wünsche offen und fügen sich ohne Nachlassen der Ausdruckskraft und der Rhetorik perfekt in den Zyklus ein. Das zerbrechlich-fragile, hoffnungslose Trauer ausdrückende Andante des 5. Quartetts ist ein absoluter Höhepunkt dieser Gesamtaufnahme.
Im so charmant beginnenden Sechsten Quartett zerstört eine ganz schräge Lesart jegliche Idylle, und das dominierende Cello im folgenden Satz scheint alles verdrängen zu wollen, was die hellen Streicher aussagen.
Expressive Dialoge prägen die Ecksätze des 7. Quartetts, wobei das Finale atemlos hektisch gehetzt wirkt, während der leise zweite Satz sehr mysteriös wird.
Den ersten Satz des 8. Quartetts spielen die vier Musiker sehr verhalten, ja verängstigt, und dann folgen, sehr gequält und mit einem Hang zum Grotesken, der zweite und dritte Satz. Peitschend ist der Beginn des vierten Satzes, der dann intensiv tragisch ausartet, ehe die Musik zart-traurig und voller Nostalgie dem Zuhörer den Atem stocken lässt… So verinnerlicht habe ich diese Passage selten gehört. In letzten Largo sehen wir einen in sich gekrümmten Shostakovich, in einer fötalen Position, während das Schwert des Regimes drohend über ihm hängt.
Nach dem 8. Quartett begann Shostakovich 1961 mit der Komposition seines 9. Er war mit dem ersten Entwurf derart unzufrieden, dass er die gesamte Arbeit in seinem Ofen verbrannte. Erst im Mai 1964 begann er wieder mit der Arbeit an dem neuen Quartett, und es wurde in kürzester Zeit fertiggestellt. Es hat nach der Tragik des Achten einen etwas positiven Aspekt, den die Danels aber nicht überbetonen. Sie finden mehr Trauer und Unsicherheit, mehr Mysteriöses in der Partitur als die meisten anderen Interpreten. Der 3. Satz, Allegretto, ist hier ein sehr bizarrer, quasi ein unüberlegter, instinktiver Run ins Nichts, was denn auch die düstere Musik des zweiten Adagios erklärt, in der die Musik sich ruhig auf das wilde Finale vorbereitet, das hier voller dramatischer Erregung erklingt, mit einer schrägen, tänzerischen, aber wie automatisierten Einlage.
Was uns das Quatuor Danel in Sachen Quartett Nr. 10 serviert, ist eine klare Aufwertung dieses nicht so oft gespielten Werks. Nach einem mysteriös verhangenen Einleitungssatz führt das Allegretto furioso in einer hektischen, fratzenhaft scharfen Interpretation zum Adagio und von da zum wie verloren tänzelnden Finalsatz.
Das Quartett Nr. 11 setzt diese Stimmung fort, zunächst, im Gedenken an den zweiten Geiger des Beethoven-Quartetts, mit wirklicher Trauer. Doch schon mit dem zweiten Satz kippt alles und wird grimmig ironisch in Effekten, die die Danels auf die Spitze treiben.
Das 12. Quartet ist klanglich experimenteller, mit Elementen der Zwölftontechnik. Das Danel Quartett spielt die Einleitung relativ distanziert und kühl, während der zweite und letzte, mit fast zwanzig Minuten sehr lange Satz in seiner ganzen Bitternis auf uns wirkt.
Dann kommt das einsätzige Quartett Nr. 13, hier als ebenso hoffnungsloses wie orientierungsloses, streckenweise aber auch direkt unheimliches Werk zu hören.
Nr. 14 kehrt zur dreisätzigen Struktur zurück und beginnt recht unverbindlich, erreicht im Adagio seine volle Größe, um dann wieder plapperhafter zu werden.
Das 15. Quartett, das sechs Sätze lang von Adagio über Adagio bis hin zu einem Adagio molto reicht, ist ein sehr schwieriges Werk für die Interpreten, die die Aufmerksamkeit des Zuhörers fast 40 Minuten lang mit langsamer Musik wachhalten müssen. Das Quatuor Danel gibt diese mit einer Intensität wieder, die den Hörer von Anfang bis Ende erschauern lässt. Es ist eine Reise in den Schmerz und die totale Verwüstung. Schwer zu erleben, aber unvergesslich und bereichernd!
Die Elegie aus den Zwei Stücken für Streichquartett ist warmherziger, dann aber auch leidenschaftlicher in seiner Trauer, und macht Platz für zwei Allegrettos, eben dem (sehr lustigen) aus den Zwei Stücken und jenem viel ernsthafteren) aus dem Unvollendeten Quartett.
Dass diese Musik in den vorliegende Aufnahmen so intensiv wirkt, liegt sicher auch an der Toncrew. Selten hat man eine so ausgewogene und durchsichtige Tonaufnahme gehört wie hier.
So gelingt es dem Quatuor Danel unter besten akustischen Bedingungen neue Ausdrucksdimensionen herauszuarbeiten.
A complete recording of all of Dmitri Shostakovich’s string quartets is a huge undertaking, but if you start with the first quartet on Quatuor Danel’s new recording, there is no doubt that you will not be bored for the six hours or so.
The quartets are not only generally considered to be among the most important in literature, they are also, to a certain extent, an autobiography in sound. Guy Wagner, reviewing the first complete recording of the Quatuor Danel for Fuga Libera, described this as follows: « They are a testimony to themselves that must be counted among the most devastating of all: A testimony to the struggle and suffering of a composer within a system of oppression to which the individual was defenselessly exposed. Through his music, however, Shostakovich made clear what this system represented and how one could defend oneself through creativity. »
Wagner described the Quatuor Danel’s first recording (then with a slightly different line-up) as not entirely homogeneous.
In the booklet of the new recording, Marc Danel explains the need for another recording as follows: « The interpretation of this extraordinary cycle, which we have played more than thirty times all over the world, is like a living body. It is constantly changing. The members of the Amadeus Quartet once said to us in connection with the Beethoven quartets, which they have recorded a total of three times: ‘The recordings fertilize the concertos, and the concertos fertilize the recordings. There is something to that. With Shostakovich, too, there is no stylistic stagnation: dealing with this music is like a grail – the search and experimentation with new things never ends. What’s more, our interpretation today is very different from that of seventeen years ago, which is certainly due to the fact that Vlad and Yovan have joined us in the meantime. »
Already in the Second Quartet, I can hear that what my colleague at the time described as too low in relief has clearly grown, and the Danels play this quartet, and especially the second movement, with a gripping and sometimes disturbing expressiveness, in order to fully express the tragedy of this quartet written in 1944.
The same is true of the third quartet, in which the stoic repetition of the rythm allows us to see this work in a completely new light, thanks to the tonal transparency and enhancement of the two lower strings in particular. In the third movement, we have almost reached the expressive power of the 10th Symphony.
In the fourth quartet, the Quatuor Danel achieves the greatest urgency with its lamentations, its sadness, its bite (in the third movement) and its emphasis on the Yiddish atmosphere in the finale.
Quartets Nos. 5 and 6 leave nothing to be desired in terms of interpretation and fit perfectly into the cycle without any loss of expressiveness or rhetoric. The fragile and delicate Andante of the 5th Quartet, expressing hopeless sadness, is an absolute highlight of this complete recording.
In the Sixth Quartet, which begins so charmingly, a very oblique reading destroys any idyll, and the dominant cello in the following movement seems to want to suppress everything the bright strings say.
Expressive dialogues characterize the outer movements of the 7th Quartet, with the finale seeming breathlessly rushed, while the quiet second movement becomes very mysterious.
The four musicians play the first movement of the 8th Quartet very restrained, even frightened, and then the second and third movements follow, very tormented and with a tendency to the grotesque. The beginning of the fourth movement is lashing, before the music becomes intensely tragic, tenderly sad and full of nostalgia and leaves the listener breathless… I have seldom heard this passage so interiorized. In the final Largo, we see Shostakovich curled up in a fetal position, the sword of the regime hanging menacingly over his head.
After the 8th Quartet, Shostakovich began composing his 9th Quartet in 1961. He was so dissatisfied with the first draft that he burned the entire work in his oven. It was not until May 1964 that he resumed work on the new quartet, which was completed in a very short time. After the tragedy of the Eighth, it has a somewhat positive aspect, which the Danels do not overemphasize. They find more sadness and uncertainty, more mystery in the score than most other interpreters. The third movement, the Allegretto, is very bizarre here, almost an instinctive rush into nothingness, which also explains the somber music of the second Adagio, in which the music calmly prepares for the wild finale, which here is full of dramatic excitement, with a quirky, dance-like, but seemingly automated interlude.
What the Quatuor Danel offers us in the Quartet No. 10 is a clear enhancement of this seldom-performed work. After a mysteriously overcast opening movement, the Allegretto furioso leads to the Adagio in a hectic, grimacing interpretation, and from there to the final movement, which prances as if lost.
The Quartet No. 11 continues this mood, at first with genuine mourning in memory of the second violinist of the Beethoven Quartet. But already in the second movement everything turns upside down and becomes grimly ironic with effects that the Danels push to the limit.
The 12th Quartet is more experimental in sound, with elements of twelve-tone technique. The Danel Quartet plays the introduction in a relatively detached and cool manner. While the second and final movement, at almost twenty minutes, hits us in all its bitterness.
Then comes the single-movement Quartet No. 13, which can be heard here as a work that is as hopeless as it is disoriented, but also directly sinister in places.
No. 14 returns to the three-movement structure and begins rather noncommittally, reaching its full grandeur in the Adagio, only to become chattier again.
The 15th Quartet, which consists of six movements from Adagio to Adagio to an Adagio molto, is a very difficult work for the performers, who have to keep the listener’s attention for almost 40 minutes with slow music. The Quatuor Danel plays it with an intensity that makes the listener shiver from beginning to end. It is a journey into pain and total devastation. Difficult to experience, but unforgettable and enriching!
The Elegy from the Two Pieces for String Quartet is more warm-hearted, but also more passionate in its grief, and gives way to two Allegrettos, the (very amusing) one from the Two Pieces and the much more serious one from the Unfinished Quartet.
The fact that this music comes across so intensely in the present recordings is certainly also due to the sound crew. Rarely have we heard a recording as balanced and transparent as this one. The Quatuor Danel succeeds in working out new dimensions of expression under the best acoustic conditions.