Der Pianist Romain Nosbaum und der Tonmeister Manfred Schumacher gingen im Frühjahr in der Wuppertaler Immanuelskirche, die heute ein Kulturzentrum ist, in Klausur, um eine neue CD mit dem Titel ‘Encores’ aufzunehmen. Ein ganztägiger Besuch bei den Aufnahmesessions machte erlebbar, dass hinter einer guten Produktion immer die gelungene Symbiose aus Künstler, Komposition, Tonmeister, Raum und Technik steht.In diesem Prozess wird der Tonmeister nicht selten zum Mit-Musiker. Etwas einsam wirkt der Interpret auf diesem Podium, wo kein Publikum, sondern nur acht Mikrofone die ‘Zuhörerschaft’ bilden. Die ehemalige Sakristei der Kirche wurde zum Kontrollraum umfunktioniert. Hier taucht Manfred Schumacher hinter einem Laptop und mit den Augen in der Partitur ebenso tief in die Musik ein wie Romain Nosbaum auf dem Steinway-Flügel. Nach einem längeren Durchlauf mit Rachmaninov und Poulenc gibt Schumacher ehrliches Feedback: « Was Du gut gemacht hast, waren diese auskomponierten Arpeggien. Das geht nach oben ins Fortissimo und kommt noch einmal wie ein Echo zurück. Aber was du noch besser machen musst, sind die Triolen. Du betonst die zweite von den Triolen und ziehst sie in die Achtel rein. Spiel mal nur den Takt mit den Triolen vor dem Grundton. Der muss einen leichten Touch, eine Betonung bekommen.“
Eine auf Tonträger ‘verewigte’ Interpretation, die später durch Alleinstellungsmerkmale begeistert, braucht solch akribische Detailarbeit. Dafür benötigt der Künstler Feedback von außen, denn andere Sichtweisen bereichern immer. Romain Nosbaum: « Man darf sich als Musiker nicht darauf versteifen, das sei jetzt der einzige Weg.“ Vielmehr sei doch die Aufnahmesituation ein « Rendezvous mit sich selbst ».
Nosbaum und Schumacher hören gemeinsam ins Aufgenommene hinein. Nosbaum korrigiert, überlegt, optimiert. Schumacher lenkt und ist auch beharrlich dabei. Er hat die klassische Tonmeister-Ausbildung durchlaufen, die zum Großteil eine Musikausbildung ist, inklusive Klavier- und Partiturspiel, ebenso Musikgeschichte und -literatur, Gehörbildung und Stilkunde. Und was bei Schumacher auf jahrzehntelanger Erfahrung aufbaut, ist längst offizieller Ausbildungsinhalt beim Tonmeister-Studium: Menschenführung.
Den Interpreten ermutigen und eine ruhige, produktive Atmosphäre sicherstellen. Dies liefert Romain Nosbaum an diesem Tag in der Immanuelkirche die Grundlage dafür, dass aus einer tiefen Ruhe heraus große Musik ‘frei’ wird. Wie jetzt gerade, wo Roman Nosbaum mit Debussy so richtig in einen guten Flow hinein gerät. Markant modelliert Nosbaum die Intervallfolgen, die zu kraftvollen Statements werden. Zarte Arpeggien wirken wie Vorstöße in schwerelose Dimension. Unmittelbar berührend wirkt eine Sehnsuchtsmelodie, welche sich über Akkordbrechungen ausbreitet. Wenn sich solche Wirkungen auch später beim Hören des ‘Endresultats’ einstellen, ist die gemeinsame Mission von Interpret und Tonmeister gelungen.
Weiter zum nächsten Stück. Dies ist brachialer, drohender. Ein Sekundschritt, der von Debussy sofort zu Neutönern wie Ligeti hinführen könnte. Zumindest, wenn Romain Nosbaum die Musik auf ‘seine’ Weise spielt – mit seiner typischen Gabe, eine Komposition immer so unmittelbar, ja ‘modern’ wie möglich klingen zu lassen.
Zufrieden geht es nach diesen Resultaten zur Mittagspause in ein griechisches Restaurant. Kreative Pausen und leibliches Wohl sind so wichtig wie die Luft zum Atmen. Aber es wird auch über das künstlerische Anliegen der neuen CD ‘Encores“ geredet. Nosbaums ruhige Bescheidenheit ist charmant, wenn er bekundet, dass er sich in Tönen viel besser als in Worten ausdrücken kann. Wenn er für dieses Projekt aus einem Spektrum schöpft, das von Bach über Rachmaninov, Poulenc, Debussy, Luciano Berio, Philip Glass, Toru Takemitsu bis hin zur Gegenwartskomponistin Albena Petrovich-Vratchanksa einen riesigen Horizont überspannt, sei ihm die Herausarbeitung einer verbindenden Stimmungswelt oberstes Anliegen: « Für mich ist das Verbindende die Idee der Farbe. Mich fasziniert vor allem der Aspekt der Freiheit, dieses ad libitum.“
Auch die Verbundenheit zur elementaren Natur drückt sich in diesem Unterfangen aus. Da sind Ur-Elemente im Spiel, etwa in Debussys ‘Feux d artifice’ oder einem Stück aus Luciano Berios Zyklus ‘Wasserklavier’. Ebenso soll Altes und Zeitloses in die Gegenwart transportiert werden: « Ich habe bewusst viele Transkriptionen gewählt, weil diese ja auch in die Moderne hinein ragen. Dasselbe gilt etwa für die Transkription eines Bach-Präludiums durch Alexander Parsiloti oder Rachmaninovs Vokalise Nr. 14 durch Zoltan Kocsis. Bevor es zum Weitermachen in die Immanuelskirche zurückgeht, definiert Manfred Schumacher nochmal seine Rolle in diesem Kontext: « Es ist die Aufgabe des Tonmeisters, den Interpretationsgedanken optimal in die Technik zu bannen.“
Das, was eben noch beim Hör-Erlebnis in der Kirche starke transzendente Verbindungen aufzeigte, wird technisch für die Hör-Anforderungen des 21. Jahrhunderts passend gemacht. Von Frames und Projekten ist nun die Rede, wenn professionelle Schneideprogramme als universelle Werkzeuge ins Spiel kommen. Aber bei allem technischen Aufwand geht es letztlich um den Hörer und zugleich um den Künstler selbst, mit dem sich Manfred Schumacher bis zum allerletzten Moment austauscht. Romain Nosbaum bekommt so schnell wie möglich eine ‘rough version’ der künftigen CD. Noch einmal kann jetzt korrigiert, verfeinert und verändert werden. Was gut werden soll, braucht Ruhe und Zeit. Und vielleicht noch einen weiteren Tag, an dem Romain Nosbaum und Manfred Schumacher in der Wuppertaler Kirche in Klausur gehen.
Zur Rezension der CD geht es hier.