Frau Weyer, nach ihrer vielgelobten ersten CD mit Solo-Werken von Debussy und Rameau (zur Rezension) ist nun ihre zweite Aufnahme erschienen. Diesmal mit den Klavierkonzerten Nr. 4 und 5 von Johann Sebastian Bach, die Sie mit dem relativ unbekannten Konzert für Violine, Klavier und Streicher von Felix Mendelssohn Bartholdy kombinieren (Rezensionen hier und hier). Wie ist es zu diesem Projekt und natürlich dieser Werkzusammenstellung gekommen?
Eigentlich ist es ich schon immer ein Traum von mir gewesen, Musik von Johann Sebastian Bach aufnehmen. Und ich wollte seiner Musik, in diesem Falle den beiden Klavierkonzerten, ein Werk gegenübersetzen, das vielleicht nicht so bekannt ist und was trotzdem in einer gewissen Beziehung zu Bach steht. Da bin ich bei meinen Recherchen dann auf das Konzert für Violine, Klavier und Streichorchester des jungen Mendelssohn gestoßen, ein Werk, das sicherlich nicht perfekt ist und einige Längen besitzt, aber durchaus gut zu diesen beiden Konzerten von Bach passt. In beiden Fällen handelt es sich um freudige Musik.
Besteht denn da nicht die Gefahr, dass gerade das Mendelssohn-Konzert ein bisschen belächelt wird und nicht aus dem Schatten Bachs heraustritt?
Natürlich gibt es gewaltige qualitative Unterschiede zwischen den Werken, aber das soll hier kein Thema sein. Wer die CD hört, der soll sich ganz klar auch bewusst sein, dass das Konzert für Violine und Klavier von einem Vierzehnjährigen komponiert wurde und sicherlich kein Meisterwerk ist. Und trotzdem: Ich finde, dass es tolle Musik ist, die man sich durchaus anhören kann und die hier die beiden Bach-Werke atmosphärisch sehr gut ergänzt. Zudem erkennt man bereits den typischen Mendelssohn der späten Jahre, insbesondere im zweiten Satz. Überhaupt ist es heute enorm wichtig, sich dem Nischenrepertoire zuzuwenden, als immer nur dieselben Stücke zu spielen. Gerade in diesen Nischen findet man ganz oft wahre Schätze. Und für junge Interpreten ist eine Möglichkeit, sich einem breiten Publikum vorzustellen, ohne permanent mit den ganz großen Interpreten verglichen zu werden.
Die Musik von Bach wird von allen Musikern quasi als Bibel angesehen. Was macht denn seine Werke so außergewöhnlich?
In Bachs Musik ist bereits alles enthalten, oder es wird zumindest angedeutet, was später in der Musikgeschichte noch kommen wird. Aus dieser Perspektive gesehen war Bach ein Visionär und ein enorm moderner Komponist mit einer genialen Kompositionsfähigkeit. Man kann sogar Jazz-Elemente heraushören. Bach war in seiner Zeit ganz sicher nicht der einzige Komponist von Rang, aber ganz sicherlich war er der extremste. Und Bachs Musik besitzt eine Tiefe, eine Spiritualität, die kaum zu beschreiben und nur in der Musik erlebbar sind.
Heute ist ja üblich, Bach und seine Zeitgenossen auf Basis der historisch informierten Praxis und somit mit historischem Instrumentarium aufzuführen. Sie aber gehen einen anderen Weg und wählen – so erlebe ich das jedenfalls bei Ihrer Aufnahme – einen sehr musikantisch, spielerischen Zugang.
Natürlich stellt sich gerade heute die Frage, warum Bach auf dem Klavier und nicht auf dem Cembalo zu spielen. In anderen Worten, darf man Bach heute noch romantisch spielen und den historischen Aspekt außen vor lassen? Ich denke, ja! Wir haben heute dieses wunderbare Instrument zur Verfügung, das man Flügel nennt, und warum soll man nicht dessen Kapazitäten ausnutzen. Ich bin davon überzeugt, dass Bach sich, hätte er damals die Möglichkeiten gehabt, ebenfalls für das Klavier entschieden hätte. Ich scheue mich dann auch nicht, wie beispielsweise im langsamen Satz des 5. Klavierkonzertes, sehr romantische und lyrische Töne anzuschlagen. Wichtig ist für jeden Interpreten, dass er zu seinem Instrument steht und dies in den Dienst des Werkes stellt. Und jeder Interpret hat ja die Freiheit, sich für das eine oder das andere zu entscheiden.
Ist es denn nicht ein zu großes Risiko, diesen, wie Sie sagen, eher romantisch-lyrischen Weg bei Bach zu gehen, wo doch quasi alle nach historischer Authentizität schreien, was immer das auch sein mag?
Ein Interpret soll auf sein Gefühl hören und nicht auf das, was die Mode und seiner Zeit diktiert. Wenn ich mich als klassische Pianistin definiere, dann muss ich auch dazu stehen. Es falsch, wegen der Meinung anderer mich nun plötzlich als Barock-Interpretin auszugeben. Denn da gibt es andere, die das wirklich viel besser können, weil sie eben aus Überzeugung mit diesem Ansatz verwachsen sind. Ich habe mich natürlich vorher informiert und mich mit barocken Gepflogenheiten vertraut gemacht. Auch bei meiner Rameau-Aufnahme habe ich monatelang vorher mit einer Cembalistin gearbeitet. Einfach um zu wissen, wie das geht. Aber ich habe mich davor gehütet, eine radikale barocke Position zu beziehen. Was auch nicht meinem Wesen als Interpretin entspricht.
Wie ist Ihr Verhältnis dann im Allgemeinen zur historisch informierten Aufführungspraxis?
Ich möchte mich schon darüber informieren und wissen, was die Kollegen denken und wie ihre Interpretationsansätze sind. Ich bin aber keine Musikerin, die diesen Weg konsequent geht, obwohl ich natürlich versuche, gewisse Ideen und Einflüsse in mein Spiel einfließen zu lassen, sofern es meinem Interpretationskonzept dient.
Sie haben die Aufnahme mit einem Kammerorchester gemacht, nämlich der ‘Berliner Camerata’, das jetzt nicht so bekannt ist, aber unwahrscheinlich engagiert zur Sache geht.
Ja, dieses Orchester besitzt einen sehr dynamischen, frischen, ja manchmal frechen Charakter. Und ich finde, dieses sehr lebendige und, wie Sie sagen, unwahrscheinlich engagierte Spiel kommt den drei Werken sehr entgegen. Man darf aber auch nicht übersehen, dass die Musiker gerade in den langsamen Sätzen zu einem sehr warmen, ja lyrischen Spiel fähig sind. Und das freut mich natürlich sehr, denn gerade diese langsamen Sätze von Bach versuche ich sehr poetisch zu spielen. Die ‘Berliner Camerata’ ist ein internationales, relativ junges und sehr engagiertes Ensemble, das je nach Werk in einer wechselnden Besetzung spielt; für diese Konzerte hatten wir 14 Musiker auf der Bühne. Olga Pak, meine Partnerin auf der Geige im Mendelssohn-Konzert ist zugleich die Konzertmeisterin und Leiterin des Orchesters und darüber hinaus eine sehr dynamische Person. Und diese Dynamik und Spielfreude, die sie vermittelt, glaube ich, spürt man quasi in jeder Note. Vor der Aufnahme haben wir eine Norwegen-Tournee gemacht und waren somit auch sehr gut aufeinander eingespielt.
Ich habe immer den Eindruck, als würde Mendelssohn im Gegensatz zu Beethoven, Brahms oder Schumann als ein Komponist aus der zweiten Reihe behandelt werden.
Ja, Sie haben Recht, Mendelssohns Musik wird immer noch gerne als sogenannte leichte Kost ohne Inhalt abgetan. Mendelssohn war ja auch als Mann von ganz zarter Gestalt und auch sehr sensibel. Und so ist auch seine Musik. Und die kann dann in Sachen Kraft und Virtuosität nicht mit der eines Liszt oder Brahms mithalten, obwohl er ein typischer Komponist der Romantik ist. Aber vielleicht hat er nicht genug Neues eingebracht, um die Musikgeschichte maßgeblich zu prägen, wie das eben Beethoven und Schumann getan haben. Mendelssohn war kein Erneuerer, er war ‘nur’ Romantiker. Und das erklärt wohl auch, warum er in der zweiten Reihe steht.
Das Mendelsohn-Konzert ist ein überraschend ansprechendes und von seinem Wesen her sehr charmantes und flüssiges Werk. Trotzdem habe ich es vorher noch nie gehört. Warum werden eigentlich solche doch musikantischen Stücke kaum gespielt?
Ja, dieses Konzert ist trotz einiger Längen ein sehr angenehmes Werk eines Vierzehnjährigen. Und so sollte man es auch behandeln. Wenn man es als Jugendwerk ansieht und sich von Mendelssohn jugendlicher Begeisterung anstecken lässt, dann wird man sowohl als Musiker wie auch als Zuhörer viel Freude damit haben. Dass solche Werke heute kaum beachtet werden, liegt am Klassikmarkt selbst, der doch sehr festgefahren ist. Abgesehen von den innovativen Ideen bei großen Festivals und in bekannten Konzerthäusern, findet sich kaum Risikobereitschaft, denn kleine und mittlere Organisatoren können sich kaum Fehlschläge und halbleere Konzertsäle leisten und setzen somit immer wieder auf das bewährte Repertoire. Aber glücklicherweise müssen wir jungen Interpreten von heute uns gerade für dieses Nischenrepertoire öffnen, da man hier als Musiker noch wirklich eigene Wege gehen kann. Und das bietet dann wieder die Chance, bei Engagements solche Werke wie eben das Konzert für Violine und Klavier von Mendelssohn mit ins Programm zu nehmen und bekannt zu machen. Wie gesagt, das Publikum bei der Norwegen-Tournee war jedes Mal hellauf begeistert.
Eigene Wege zu finden, das scheint mir gerade heute für einen jungen Musiker doch schwierig zu sein.
Es ist tatsächlich nicht einfach für uns junge Künstler, einen guten Weg zu finden, um das Publikum auf uns aufmerksam zu machen. Die CD ist noch immer ein wichtiges Mittel, da die meisten Klassik-Hörer dieses Medium benutzen. Allerdings hat es wiederrum keinen Wert, eine CD zu machen, auf der man bekannte Werke vorstellt, die es in hundert anderen erstklassigen Aufnahmen gibt. Ich habe mich deshalb auch für die Klavierkonzerte Nr. 4 & 5 von Bach entschieden, weil diese eben nicht gerade so oft gespielt werden. Doch in Kombination mit dem Mendelssohn-Konzert ist uns, so glaube ich, eine gute Synthese zwischen Mainstream und Nischenrepertoire gelungen, die ein breites Publikum ansprechen könnte. Anfangs wollte ich sogar sämtliche Bach-Konzerte aufnehmen. Aber ich habe mir gedacht, wer denn um Himmelswillen kauft eine Aufnahme mit einer international wenig bekannten Pianistin, wenn er diese Konzerte mit Gould, Schiff,… haben kann? Andererseits würde ich ganz schnell in die Bach-Ecke gedrückt werden. Das Programm Bach-Mendelssohn erlaubt es mir besser, mich in verschiedene Richtungen bewegen zu können. Und somit dem Schubladendenken etwas zu entgehen.
Was Sie ja auch bei Ihrer ersten CD getan haben?
Genau! Ich wollte eben nicht ein Programm aufnehmen, das sich jeder erwartet. Eine erste CD ist immer sehr wichtig, da muss man als junger Musiker schon etwas Handfestes, Originelles und Überzeugendes anbieten. Da ich mich nicht als virtuose Pianistin sondern eher als sensible Gestalterin betrachte, und weil ich die französische Klaviermusik über alles liebe, war ziemlich schnell klar, dass Debussy auf dem Programm stehen sollte. Aber nicht nur. Ich wollte der Musik von Debussy dann schon einen ganz anderen Komponisten gegenüberstellen, der trotzdem kompositorisch eine Brücke zu der Musik von Debussy schlägt. Und bei Jean-Philippe Rameau gibt es diese Verbindungen. Zudem ist Rameau ein Komponist, der nicht so viel aufgenommen wird und der sich auch von diesem Standpunkt her als ideale Ergänzung entpuppt.
Und die CD ist dafür ein immer noch geeignetes Mittel?
Ja, ich denke schon. Denn erstaunlicherweise gibt es einige hervorragende Labels, die sich auf junge Künstler konzentrieren und bewusst neue, interessante Wege mit Ihnen gehen. Major-Firmen tun sich da oft schwer und verfolgen noch immer eine Aufnahmepolitik, die die gleichen Werke in den Mittelpunkt stellt. Und oft ist das Outfit und Aussehen des Künstlers wichtiger als die musikalische Aussage (lacht). Schöne Musiker verkaufen sich eben besser. Bei den alternativen Labels aber gibt es eine intensive Zusammenarbeit zwischen Künstler und Produktionsteam. Diese Labels erlauben uns auch, das einzuspielen, was wir mögen, auch wenn die Werke und Komponisten nicht immer bekannt sind. Und diese Labels haben inzwischen auch ihre Anhängerschar, so dass man hier auf einem guten und sicherlich auch richtigen Weg ist.
Nach einer Solo-CD, einer CD-mit Kammerorchester steht aber bereits ein drittes Projekt vor der Tür.
Ja. Im Oktober werde ich das 2. Klavierkonzert von Dmitri Shostakovich aufnehmen. Meine Partner werden die hervorragende Nordwestdeutsche Philharmonie und der junge österreichische Dirigenten Erich Polz sein. Im zweiten Teil des CD-Programmes wird er dann Shostakovichs 9. Symphonie und die ‘Festliche Ouvertüre’ dirigieren.