‘Saul’ ist eigentlich keine Oper von Händel, sondern, nach seinen eigenen Worten, « ein Oratorium in englischer Sprache“. Die italienische Oper war schon lange von den Briten als altmodisch angegriffen worden und nicht mehr besonders beliebt, unter anderem auch aus kulturpolitischen und finanziellen Gründen. Das Oratorium war zwar ebenfalls ein fremdes Genre, scheint aber damals in der Gunst des Londoner Publikums geblieben zu sein. Die 16 biblischen Oratorien von Händel kamen gelegen und passten zu den Erwartungen der Aristokratie und der anglikanischen Kirche.
Der vorliegende Mitschnitt von ‘Saul’ stammt vom Glyndebourne Festival 2015. Die Ansichten des Regisseurs Barrie Kosky sind Geschmacksache. Schon gleich am Anfang erlebt der Zuhörer ein kolossal opulentes Fest mit einer riesigen Menge an Essen, exotischen Tieren, Pflanzen und Blumen. So wird Goliaths Tod gefeiert! Die handelnden Personen sind in einem neo-barocken Stil gekleidet, mit übertriebenem Make-up.
Im Kontrast dazu gibt es sehr düstere Szenen, und so alterniert das Stück zwischen bunter Theatralik und dunkler Todesatmosphäre: ein barocker Alptraum!
Die Sänger sind insgesamt darstellerisch wie musikalisch hervorragend. Countertenor Iestyn Davies’ David ist ein Genuss, und Christopher Purves ist perfekt als paranoider Saul. Die Sopranistinnen Lucy Crowe und Sophie Bewan sind stimmlich weitgehend tadellos und zudem auch kontrastreich. Leider schrecken sie nicht davor zurück, das eine oder andere Mal um eines theatralischen Effekts willen, die Stimme zu überfordern.
Der Chor aus Glyndebourne und das ‘Orchestra of the Age of Enlightenment’ fallen durch ausdrucksvolle, gut nuancierte und dynamische Darbietungen auf.