Eines muss man Fazil Say lassen: er hat eine große Einfallskraft und fürchtet sich nicht vor Alleingängen. Entsprechend, sagen wir mal, speziell ist seine Interpretation einer Auswahl von Chopin-Nocturnes. Die einzelnen Stücke werden stark differenziert und voneinander abgehoben. Viele werden dramatisiert, teilweise sogar übermäßig dramatisiert. Andere klingen zärtlicher, aber selbst dann werden Kontraste hervorgehoben, Artikulation geschärft. Selten wird das Cantabile so durchgezogen wie das andere Pianisten mehr oder weniger erfolgreich tun.
Say spielt ganz verloren in seiner eigenen Gedankenwelt, er kümmert sich nicht ums Detail, sondern folgt einer Linie, die den ganzen Korpus der Nocturnes höchst unruhig werden lässt. Diese latente innere Nervosität ist es letztlich, die den Charakter des Zyklus verändert, ja die Musik irgendwie entstellt. Völlig uninteressant ist das nicht, insbesondere weil es so spontan wirkt und so eigenwillig chopinfremd. Aber die CD taugt eben nur was im Vergleich und im Analysieren dessen, was Say macht und nicht macht, was er also anders macht. Sie ist definitiv nichts für Genießer.