Auf dem 'Mutferter Haff' in Luxemburg findet ein Musikfestival statt, das am 1. Juli mit der musikalischen Lesung 'Eine Dosis Poesie' zu Ende geht. Pizzicato hat dem Direktionsbeauftragten Roland Kolber dazu einige Fragen gestellt.

Herr Kolber, die ‘Schumanniade’ ist ein ganz besonderes Festival und findet auf dem sogenannten ‘Mutferter Haff’, also dem ‘Moutforter Hof’ statt. Was ist das genau?
Ungewöhnlich ist der Ort, an dem das Festival stattfindet. Die Konzerte finden effektiv in der Pferdemanege des Hofes statt. Diese wird mit Holzplatten ausgelegt und so hergerichtet, dass jeder Zuhörer die Musik genießen kann. Die Temperaturen in der Manege, einem großen Stallgebäude, sind wetterabhängig, und Tauben, andere Vögel, Hunde und andere nette Tiere bestimmen den Konzertablauf mit und machen den Besuch eines solchen Konzerts zu allererst schon mal zu einem Erlebnis der besonderen Art.
Dann, und das ist doch wesentlicher, findet dieses Festival in einem therapeutischen und beschützten Werkstatt für chronisch psychisch kranke Menschen statt. Psychisch kranke Menschen sind mit eingebunden, in der Organisation, im Aufbau der Manege, in der Bedienung in unserem kleinen Restaurant; sie sind jetzt schon wichtige Mitarbeiter und sollen in den nächsten Jahren eine immer wichtigere Rolle übernehmen.

Nun ist nicht nur der Ort des Festivals ungewöhnlich auch die Programmierung fällt manchmal aus dem üblichen Rahmen.
Nun, die Programmierung ist eine kontinuierliche respektvolle Auseinandersetzung zwischen Alain Steffen, einem der Mitbegründer dieses etwas anderen Festivals, und unserer Vereinigung ‘Mathëllef asbl.’ Alain garantiert eher die hochwertige, klassische Musikrichtung, mit einer Tendenz zu ausgefalleneren Momenten wie zum Beispiel die musikalische Kafka-Lesung 2015 mit Dominique Horwitz, begleitet vom wohlbekannten Signum-Quartett, während ‘Mathëllef asbl’ eher die Jazz-oder Weltmusik-Ausrichtung bevorzugt.
Ehrlicherweise wollen wir auch eingestehen, dass neben der hochwertigen Qualität der Musik, die Gagen der Künstler auch eine wichtige Rolle spielen und, dass Alain hierin ein absolut talentierter Verhandelnder ist; Feilscher wäre doch ein zu schlimmes Wort!
Ein letztes sehr wichtiges Anliegen von ‘Mathëllef asbl’ und der ‘Ligue’ kann über das Konzept der Inklusion erklärt werden:
Inklusion bedeutet wörtlich: Einschluss, Einbeziehung, Inbegriffen-Sein. In einer Multikulti Gesellschaft wie der unseren ist es normal verschieden zu sein. Die Vielfalt der Menschen, auch ihr Anderssein ist grundsätzlich positiv zu bewerten. Polarität soll vermieden werden, Heterogenität akzeptiert, respektiert und geteilt.
Ich möchte deshalb auch auf die nächste Veranstaltung hinweisen, die wir in Zusammenarbeit mit dem neu gegründeten Verein ‘PSYCHART’ am 1. Juli veranstalten: ‘Eine Dosis Poesie’.
Hier wird die Grundidee der ‘Schumanniade’ weitergeführt: Die Lesung von Texten, geschrieben von psychisch kranken Menschen, untermalt von Musik geschrieben von einem psychisch kranken Menschen, stellt einen wichtigen Schritt in Hinblick auf das Konzept der Inklusion dar. Die Unterschiede werden fließender, die Gemeinsamkeiten wachsen.

Der Konzersaal in der Pferdemanege

Der Konzersaal in der Pferdemanege

Was ist sonst noch besonders an Ihrem Festival?
« Kinder, schafft Neues“. Diesen Aufruf von Richard Wagner haben sich die Verantwortlichen von ‘Mathëllef asbl’ zum Motto gemacht, als sie die Idee einer ersten ‘Schumanniade’ in Luxemburg verwirklichten. ‘Mathëllef asbl’ hat auf den ersten Blick nichts mit klassischer Musik zu tun, sondern ist eine Vereinigung ohne Gewinnzweck, welche im außer klinischen Psychiatriebereich tätig ist. Sie bietet also Menschen mit einer psychischen Erkrankung oder schwerwiegenden psychischen Problemen auf dem ‘Mutferter Haff’ therapeutische Dienste an. Im Rahmen der psychiatrischen Rehabilitation bietet diese therapeutische, beschützte Werkstatt Beschäftigungsmöglichkeiten und Behindertenarbeitsplätze in einer Pferdepension und in einer angrenzenden Gaststätte an.
Inspiriert durch die enge Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern der ‘d’Ligue asbl’, besonders des ‘Centre Kompass’, einer Tagesstätte der außerklinischen psychiatrischen Betreuung, hat die Gründung dieser ‘Schumanniade Moutfort’ ihren Ausgangspunkt in der Idee, Menschen, die unter einer psychischen Erkrankung oder schweren psychischen Problemen leiden und das klassische Konzertpublikum auf eine natürliche Weise zusammenzubringen. Integration und Inklusion sollen über ein gemeinsames Erlebnis stattfinden, über die Macht des Klanges und der Musik, die als verbindende Sprache Menschen aller Kulturen und sozialen Hintergründe berühren kann.

Andere Überlegungen waren folgende:

– Musik kann Betroffene vielleicht nicht gerade heilen, aber Musik kann betroffenen Menschen Trost und Entlastung bringen und, – Musik spendet jedem Menschen Freude!

– In der rezeptiven Musiktherapie wird, im Gegensatz zu der aktiven Musiktherapie, speziell für den Patienten ausgewählte oder improvisierte Musik gehört, um Entspannung und Wohlgefühl zu vertiefen oder Wahrnehmung, Erleben oder Erinnerungen anzustoßen.

– Vorurteile zwischen nicht Betroffenen und Betroffenen, zwischen ‘Verrückten’ über ‘Normalen’ und umgekehrt, lassen sich am ehesten abbauen durch positiv erlebte Kontakte zwischen diesen beiden Gruppen.

– Vorurteile über Menschen können auch abgebaut werden durch Verbesserung der Information, die man über diese Menschen hat; die Frage also war: Wie bekomme ich möglichst viele Menschen als Besucher in psychiatrische Strukturen um Ihnen diese Information lebendig zu vermitteln?

– Musik zieht Menschen an, besonders qualitativ wertvolle Musik in einem etwas spezielleren Rahmen! Wir hoffen auf viele, überhaupt nicht an Psychiatrie interessierte Besucher.

– Offenlegung der eingesetzten Mittel durch Konzepttransparenz: Als eine psychiatrische Institution, welche heute noch den üblen Nachruf hat, dass alle Türen zugesperrt sind, zeigt ‘Mathëllef asbl’ den Besuchern alles, keine Tür ist zugesperrt, jeder ist willkommen um auch schöne Momente in der Psychiatrie zu genießen.

« Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber zu schweigen unmöglich ist.“ (Victor Hugo)

Wie kam es zu dem, Namen ‘Schumanniade’?
Dass die Verantwortlichen sich bei diesem ehrgeizigen  Projekt für Robert Schumann als Namensgeber entschieden haben, liegt auf der Hand. Denn Robert Schumann ist das beste Beispiel dafür, wie ein immer wieder von psychischen Leiden und Krisen betroffener Künstler trotzdem Großartiges vollbringen konnte und heute zu den einflussreichsten Komponisten der Musikgeschichte gezählt wird.
Das Projekt ‘Schumanniade Moutfort’ ist somit ein weiterer Versuch, die Psychiatrie nach außen hin zu öffnen, Klischees, Ängste und Stigmata abzubauen. Die ‘Schumanniade Moutfort’ will aber auch neue Wege der Integration und Inklusion gehen und somit den Betroffenen über die Schiene der Kunst und der Musik aus ihrer Isolation hin zu einmaligen Kollektiverlebnissen führen.

Wo kommt Ihr Publikum her?
Obschon wir chronisch psychisch kranken Menschen freien Eintritt gewähren, scheint diese Information noch nicht zu ihnen durchgedrungen zu sein. Auch vermissen wir die Motivationsarbeit der im klinischen und außer klinischen Bereich arbeitenden ‘Professionnellen’, die von ihnen betreuten Menschen zu dieser Veranstaltung hin zu führen. Trotzdem ist aber seit zwei Jahren ein Aufwärtstrend zu beachten; immer mehr Betroffene kommen als Gäste und Zuhörer zur ‘Schumanniade’ und genießen einen ‘Inklusionsabend’ mit Freunden.
Natürlich besteht ein Großteil des Publikums aus Musikliebhabern, die sich vielleicht manchmal ein bisschen schwer tun, einen angenehm gemütlichen Sessel in der Philharmonie, in einem angenehm geheizten Raum, mit einem Sitzplatz in einer ungeheizten oder zu heißen Pferdemanege zu tauschen. Aber: Mann-Frau kann auch beides tun…

Wieso veranstalten sie ‘nur’ vier Konzerte?
Die ‘Schumanniade’ wird ausschließlich von ‘Mathëllef asbl’ und der ‘Ligue asbl’ mit privaten Sponsoren organisiert! Wir genießen keine staatliche Unterstützung, obwohl diese willkommen wäre. Dieses kleine Budget erlaubt es uns leider nicht weitere Konzerte, Abende dieser Art zu organisieren.
Außerdem möchte ich auch noch hervorheben, dass alle Mitarbeiter des ‘Mutferter Haff’, ob psychisch krank oder psychisch nicht krank, an diesen Veranstaltungen mitarbeiten. Sie tun dies zusätzlich zu ihrer normalen Arbeit, überzeugt davon mit diesem Engagement ihren Teil zur Offenheit unserer Gesellschaft, zu mehr Respekt vor psychisch kranken Mitmenschen, zu mehr Inklusion beizutragen.

Mathëllef asbl
12, um Kinert, L-5334 Moutfort
Tél: ( +352 ) 27 69 27 - 1
Fax: ( +352 ) 27 69 27 27
E-mail: accueil@mathëllef.lu
http://mathellef.lu/index.html

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