Wie denken Sie aus Ihrem augenblicklichen Alltag heraus in die Zukunft?
Ich bereite mich immer eine bestimmte Zeit auf Konzerte vor. Manchmal nur einen Tag, manchmal bedarf es einiger Wochen Vorbereitungsszeit. Trotz dieser Schnelllebigkeit möchte ich in größeren Bögen denken – und auch die große Linie bis zum Alter von 80 oder 90 berücksichtigen. Jedes Mal von neuem will ich sämtliche Aspekte des Geigerischen und Musikalischen auf ein neues Niveau heben. Das erfordert ein hohes Maß an Selbstreflexion. Die Geige gibt meinem Leben Sinn und ist auch meine Entschuldigung, Egozentriker zu sein: Wenn ich üben kann, geht es mir am allerbesten. Mein Ziel als Musiker ist es, irgendwann nur noch selbstbestimmt zu sein. Zu dem Punkt zu kommen, wo man selber bestimmt, was man wann und wo mit wem spielt.
Welche Rolle spielt Ihr Publikum?
Ich habe zum Publikum eine sehr lebendige Beziehung. Ich moderiere oft meine Konzerte und spreche immer ein paar Worte. Aber die Musik selbst ist auch oder gerade ohne Publikum absolut. Das Publikum hat seinen Platz. Aber zum Schluss geht es um die Musik, das ist wie eine Messe.
Was machen die Stücke, die Sie einstudieren, mit Ihnen?
Jedes Stück begleitet mich über eine gewisse eine Zeit und gibt mir Sinn und Richtung ins Leben. Wenn ein wichtiges Stück oder Konzert hinter mir liegt, falle ich fast in ein Loch. Ich muss durchatmen und dann die nächste Herausforderung definieren.
Gibt es für Sie eine ideale Interpretation?
Die Musik ist gewissermaßen absolut über allem. Ich kann sie im Zweifelsfall nur zerstören, aber nie verbessern. Wenn mir alles ideal gelingt, würde es tatsächlich so sein, wie das Stück ist. Jede Interpretation kann immer nur Annäherung sein. Ein Geiger soll geigen – im Idealfall wird ein großartiges Stück so musiziert, dass nichts stört. Ich kann das Stück nicht neu erschaffen, nur neu herstellen. Das Stück ist etwas Objektives – und jeder der es spielt oder hört, macht es subjektiv. Wenn der Komponist ein Stück geboren hat, gehört es auch nicht mehr ihm. Er kann gar nicht wissen, wie man es spielen muss. Alle dürfen es hören und spielen.
Sie sind jetzt zum Giganten der abendländischen Musikgeschichte vorgedrungen. Was für ein neues Kapitel beginnt mit einer Bach-Interpretation?
Meine erste Bach-Aufnahme ist wie ein Bewerbungsschreiben, mit der ich mich im Kreis der Bach-Interpreten anmelde. Ich will künftig weiter daran wachsen und den Fokus nicht verlieren – später folgen weitere Aufnahmen, die noch stärker sein werden.
Was ist das besondere an Bach?
Es gibt enorme Unterschiede von der Gültigkeit her zwischen Johann Sebastian Bach und anderen Komponisten – einfach, was die Stärke der Musik anbelangt. Viele Komponisten schreiben gute Musik, aber diese ist vielleicht vergleichbar mit so etwas wie Eiscreme essen. Bach hingegen ist so essentiell wie Wasser trinken. Wenn Du jemanden nach seinem Lieblingsgetränk fragst, und er sagt nicht Wasser, dann war er noch nie richtig durstig. Er hat noch nicht gespürt, wie es ohne Wasser sein kann. Es gibt in der Musik vergleichbare Phänomene.
Hat diese Einsicht Konsequenzen auf die Wahl Ihres Repertoires?
Wenn die Stücke, die man spielt, der Sinn im Leben sind, sollte man schauen, dass man die gute Musik spielt. Wir als Musiker achten oft zu wenig darauf. Dabei sind die Stücke unsere Wegbegleiter und uns meist noch viel näher als Freunde. Viele Musiker sind meiner Meinung nach viel zu wenig wählerisch, mit wem sie eine Liaison eingehen.
Weil sie sich in frühen Jahren von ihren Lehrern und später von der Marktsituation fremdbestimmen lassen?
Weil sie nur spielen, was gefragt ist. Ich ordne mich auch der Marktlogik unter, aber man muss diesen Aspekt mit etwas anderem, größerem zu ‘verheiraten’ wissen.
Was für ein Begleiter sind die Bach-Partiten für Sie geworden?
Die, die ich auf CD gespielt habe, habe ich jetzt verabschiedet. Im Moment versuche ich, die zweite Sonate (BWV 1003) auf ein höheres Level zu bringen. Mein Ziel ist es, dass mich Bach mein ganzes Geigerleben begleitet. Wenn ich vierzig bin, also in zehn Jahren, möchte ich alle Sonaten an einem Abend spielen. Ich lasse jetzt mal die Reaktionen auf meine erste Bach-CD auf mich wirken und schaue, was für Herausforderungen in den nächsten Jahren auf mich zukommen. Ich kenne mich sehr gut, wann der Moment kommt, wo ich den zweiten Teil aufnehmen möchte.
Was wird sich im Detail weiter entwickeln?
Erst mal müssen die geigerischen Lösungen noch viel besser werden. Einige dieser Stücke, wie die C-Dur Fuge sind so komplex, dass man so viele Entscheidungen treffen kann, ja treffen muss, und diese Entscheidungen sollten immer klüger werden.
Können Sie ein Beispiel für solche Entscheidungen geben?
Man muss sich zum Beispiel oft zwischen Saitenwechsel und Lagenwechsel entscheiden. Phrasierungen sind ein ganz anderes Gebiet. Da gibt es für jede Stelle verschiedene Lösungen zwischen linker Hand und Bogen. Wem will man mehr Arbeit geben? Bei Bach sollte oft in der ersten Lage gespielt werden – schließlich wurde im Barock die Lage nur gewechselt, wenn es nicht anders ging. Du kannst über Jahrzehnte immer bessere Fingersatzlösungen suchen. Diese sollten immer ökonomischer werden. Ziel ist es, dass die Affekte, Stimmungsbilder und Charaktere immer deutlicher ausformuliert werden. All dies muss immer weiter von der Geige weg kommen. Es geht schließlich darum, dass die Lösungen nicht mehr geigerische, sondern expliziert musikalischere sind.
Allein die Bachsche Polyphonie, wie sie auf ein einstimmiges Streichinstrument übertragen ist, stellt jeden Interpreten vor eine große Herausforderung.
Das beste Beispiel für den unglaublichen Umgang mit Polyphonie ist die C-Dur Fuge. Wer hier eintaucht, fühlt sich auf einer großen Wanderung. Dieses Stück sprengt den Rahmen der Geige. Da sind verschiedene Stimmen, die Du nicht gleichzeitig abbilden kannst. Auch hier geht es darum, den besten sinnhaften Weg zu finden. Es sollte kein Gemisch zwischen den Fingersätzen geben. Alles muss einer klaren, uneitlen Logik folgen.
Ihre Worte sind sehr selbstkritisch, Ihr Spiel ist umso selbstbewusster.
Der neuen Aufnahme wurde viel Ausgewogenheit und Selbstverständnis attestiert. Es gibt keine zu großen Ausschläge in die eine oder andere Richtung. Ich weiß dennoch, dass ich vieles geigentechnisch noch besser machen könnte. Auch klanglich und intonatorisch. Im Augenblick ist die Intonation meiner Meinung nach so, dass sie niemand stört. Aber eine richtig gute Intonation sollte etwas Bekenntnishaftes an sich haben. Und eben nicht einfach als temperierte Intonation daher kommen.
Ist dies noch für den Außenstehenden hörbar?
Wenn ich es ganz besonders gut mache, wirst Du es als weiteres Attribut wahrnehmen, da bin ich mir sehr sicher!
Gibt es überhaupt ‘richtige’ Intonation?
Nein, Intonation ist immer relativ. Die Intonation ist dann sauber, wenn es ein System gibt, das der Spieler in sich logisch spielt. Auf der Geige kannst Du nicht rein intonieren. Wenn du rein intonierst, klingt es manchmal dumpf. Bei manchen Tonarten geht es besser. Aber in anderen Tonarten klingt die Geige schöner, wenn sie nicht rein zum Grundton, sondern rein zu einer leeren Seite klingt. Hier setzt die persönliche Intonation an. Intonation hat viel mit Klang zu tun.
Diese künstlerische Konsequenz hat schon fast etwas Radikales. Wie sehen Sie das?
Es gibt im Leben zu wenig Platz für diese Radikalität, die wenige mit mir teilen. Ich werde immer perfektionistischer. Das wird immer schlimmer. Aber das gute ist, dass ich dadurch immer besser werde. Letztlich, weil ich immer sehr unzufrieden mit mir und manchmal auch mit meinen Partnern bin. Damit kann ich aber alles auf einen Punkt konzentrieren und es gibt wieder einen klaren Fortschritt. Es ist nicht üblich, dass Geiger mit 30 noch technische Fortschritte machen. Viele sind mit 20 schon fertig. Der große Geiger ist der, der wie ein Perpetuum mobile funktioniert und sich selber entwickeln kann. Nathan Milstein hat gesagt, du musst selber zu eigenen Lösungen fähig sein und mit so wenig Energieverlust wie möglich einen Weg finden. Das ist die Religion des Übens. Ich wünsche jedem Geiger, dass er diesen Sinn in sich entdeckt. Dann hat er ein gutes Leben.
Zur Rezension der CD geht es hier.