Der Übergang von der Spätromantik auf moderne musikalische Ausdrucksformen hat insbesondere in Wien im ‘Fin de siècle’ einen Anfang genommen. Mitprägend hierfür war eine Reihe von Komponisten, die die revolutionäre Weiterentwicklung der Kunstform Lied auch deswegen voran treiben konnten, weil ihnen etwa mit den als anstößig empfundenen Texten von Richard Dehmel eine Grundlage zur Verfügung stand, auf der sie die neuen Ideen umsetzen konnten. Manchmal reichten dafür auch zentrale Begriffe, wie das Wort Sehnsucht, dass schon eine Besonderheit der deutschen Sprache darstellt.
Um diese Fortentwicklung haben sich Komponisten eingesetzt, die als Liedkomponisten nach dem 19. Jahrhundert begonnen haben und später für andere kompositorische Entwicklungen berühmt wurden. Aus ihrer Anfangszeit als Liedkomponisten haben Barbara Hannigan und Reinbert de Leeuw eine reiche Auswahl an Liedern eingespielt.
Dieser Überblick über eine entscheidende Entwicklungsstufe der Musik wird von den beiden Protagonisten mit großem Einfühlungsvermögen und variabler Gestaltung eindrucksvoll nachvollzogen. Hannigan ist eine sensuelle Interpretin, deren heller Sopran wie „es hat die Nachtigall die ganze Nacht gesungen“ im gleichnamigen Berg Lied erklingt. Leider hat sie bei der Textverständlichkeit noch Entwicklungspotential. Da das Heft die Liedtexte abdruckt, kann man aber ohne Probleme folgen.
Reinbert de Leeuw ist ein in der Musik des zwanzigstens Jahrhunderts erfahrener Dirigent, der hier als Pianist eine zugleich sensible Begleitrolle als auch die mit dieser Entwicklung des Kunstliedes verbundene Hervorhebung pianistischer Aufgaben überzeugend vermittelt. Beide zusammen machen die Stimmung der Zeit intensiv erfahrbar.