Chefdirigent Christian Thielemann hat seine letzte Opernpremiere an der Semperoper in Dresden dirigiert. Aufgeführt wurde Die Frau ohne Schatten von Strauss. Thielemann wechselt bekanntlich an die Berliner Staatsoper. Michael Oehme berichtet über die letzte Opernproduktion von Thielemann in Dresden.
Die Frau ohne Schatten ist eine der wenigen Opern von Richard Strauss, die nicht in Dresden uraufgeführt wurden. Doch schon zwölf Tage nach der Premiere am 10. Oktober 1919 in Wien fand unter der Leitung von Fritz Reiner im Semperbau die Deutsche Erstaufführung statt. Nach dem Krieg musste Dresden allerdings lange auf ein Wiederhören warten. Denn auch die 1985 wiedereröffnete Semperoper bot im Orchestergraben nicht genug Platz für die von Strauss geforderte Riesenbesetzung.
Erst 1996 erfolgten eine bauliche Erweiterung des Grabens und eine Neuproduktion unter der Leitung von Giuseppe Sinopoli (veröffentlicht auf Teldec). Für Christian Thielemann, der Die Frau ohne Schatten bisher in Berlin, New York, Salzburg und Wien dirigiert hatte, ging jetzt der Wunsch in Erfüllung, dieses Stück in dem Haus mit der dafür besonders geeigneten Akustik zum Klingen zu bringen. « Das Haus klingt so gut“, sagte er.
Gewaltig dröhnten die ersten Takte der Partitur ins Ohr und auch die fulminante Bassstimme von Andreas Bauer Kanabas überwältigte gleich am Anfang. Doch in der Folge deutete Thielemann mit seiner Staatskapelle das Werk geradezu kammermusikalisch und extrem sängerfreundlich aus. Dem kamen Regie und Bühnenbild entgegen. David Bösch und sein Bühnenbildner Patrick Bannwart nutzten nur den vorderen Bühnenraum und die Personenführung war so geschickt, dass immer zum und für das Publikum gesungen wurde, ohne dass der Gedanke an oft gescholtenes Rampentheater aufkam.
Die unwirklich schattenlose Welt von Kaiser und Kaiserin wurde durch nebulös ausgeleuchtete Stoffbahnen symbolisiert. In einem Fahrstuhl führte dann die Amme die Kaiserin in die Niederungen der schmutzigen Arbeitswelt des Färberpaares. Realistisch, aber nicht überzogen wurde man Zeuge beider unglücklich-kinderloser Beziehung und des fürchterlichen Ansinnens der Amme, der Färberin den Schatten zu entreißen. Der lockende Glanz schöner Kleider und halbnackter Jünglinge blieb, wie die Geschichte ausging, ohne Wirkung. Optisch beeindruckend war die überdimensionierte Gestalt des Falken, den der unglückliche Kaiser aufsuchte. Zwei getrennte Räume lösten sich schließlich auf, um das Färberpaar wieder zueinander finden zu lassen. Der Verzicht der Kaiserin auf den Schatten zugunsten der Menschlichkeit für alle mündete in ein geradezu oratorisches Schlusstableau der beiden Paare, in dessen Jubel sich die Stimmen der ungeborenen Kinder einmischten.
Die extrem hohe Lage dieser für sechs Solistinnen geschriebenen Partien – die Rheintöchter quasi eine Oktave höher lassen grüßen – wie überhaupt auch die so genannten kleinen Partien in Die Frau ohne Schatten exemplarisch besetzt sein müssen und besetzt waren. Genannt seien neben dem schon erwähnten Geisterboten die Stimme des Falken, gesungen von Lee-Ann Dunbar. Es sind dann die fünf überaus fordernden Hauptpartien, an denen sich der Erfolg einer Aufführung entscheidet. Camilla Nylund sang die Kaiserin, lyrisch anrührend, sehr gut textverständlich. Ihre große Stunde schlug bei den Prüfungen, denen sie sich im dritten Akt unterzog. Weit ausladende Bögen liessen ihre Stimme glänzen. Dass sie in der überhaupt vollkommen strichlosen Fassung dieser Produktion auch das für sie vorgesehene Melodram mühelos bewältigte war bewundernswert!
Eric Cutler als Kaiser verfügte über einen glänzenden Tenor und die nötige Strahlkraft, bei der auch Christian Thielemann das Fortissimo des Orchesters nicht dämpfen musste. Beeindruckend die berühmte Falkner-Szene! Ganz dem Ausdruck und dieser Rolle verkörperte die in Dresden immer wieder besonders gefeierte Evelyn Herlitzius die Amme. Nicht Schöngesang, sondern das Dämonische ihrer Stimme war gefragt. Das mochte polarisieren, entziehen konnte man sich ihrer Darstellungskunst nicht.
Barak und Färberin gaben ihr Hausdebüt an der Semperoper. Oleksandr Pushniaks Bariton verfügte über Schmelz und Kraft zugleich. Seine Rolle ist ohnehin die anrührendste in dieser Strauss-Oper. Pushniak vermochte das hinreißend menschlich herüberzubringen. Schließlich Miina-Liisa Värelä als Färberin: Glockenklar, hell, voller Durchschlagskraft und ohne jegliche Randgeräusche überzeugte ihr herrlicher Sopran den ganzen Abend. Das wiedergewonnene Bekenntnis zu ihrem Ehegatten am Ende des zweiten Aktes geriet zum sängerischen und dramatischen Höhepunkt des Abends. Übertroffen wurde dieser insgesamt nur noch von Christian Thielemann und seinem Dresdner Strauss-Orchester. Neben der diffizilen Feinzeichnung und sensiblen Sängerbegleitung, dem Leuchten und Irrisieren der einzelnen Instrumentengruppe waren es die die orchestralen Zwischenspiele, in denen Thielemann die Kapelle zur Hochform auflaufen ließ. Da meine ich gleich das erste im Eröffnungsakt, das so modern ist und die Grenzen der Tonalität noch hinter der Elektra weit überschreitet. Wie großartig kann so etwas klingen, wenn es von einem wie Richard Strauss komponiert und instrumentiert worden ist. Es waren dann die unter die Haut gehenden Blechbläserchöre, links die Hörner und rechts Trompeten, Posaunen und Tuben, die auch raumakustisch ein beeindruckendes Erlebnis lieferten. Schließlich die unvergleichlich schönen Instrumentalsoli von Matthias Wollong, Violine und Sebastian Fritsch, Violoncello, die das Publikum den Atem stocken ließen. Eine Kollegin meinte, Mstislav Rostropovich sei wiederauferstanden. Dass im zwanzigminütigen Schlussbeifall (wie in Bayreuth am letzten Abend der Festspiele) auch das Orchester komplett auf die Bühne kam und bejubelt wurde, war mehr als nur eine Verbeugung vor dem eigentlichen Star des Abends.