Konzert Nummer 2 in der Endrunde der ‘Shanghai Isaac Stern International Violin Competition’ brachte den Wettbewerb eindeutig vorwärts, mit zwei Geigerinnen, die jenen des Vortags deutlich überlegen waren. Remy Franck berichtet aus China.
Der Konzertsaal des ‘Shanghai Symphony’ ist tief in die Erde eigegraben, über zwei abwärts führende Rolltreppen gelangt man aus der Eingangshalle in den Saal, wo sich wiederum ein erstaunlich junges Publikum eingefunden hatte, mit einem Altersdurchschnitt von gewiss unter 20 Jahren! Ein krasser Gegensatz zur teilweise überalten Jury, die wie versteinert die Darbietungen verfolgt. Nächstes Jahr soll ich zweimal selbst in einer solchen Jury sitzen, als auch nicht gerade junges Mitglied, aber immerhin nicht als professioneller Musiker, was schon in den Wettbewerben für einen Unterschied und eine Öffnung sorgt. Dennoch wird es eine ganz andere Erfahrung sein, Punkte zu vergeben und nicht zu wissen, was am Ende nach einem arithmetischen Rechnen herauskommt, während man als Kritiker nach einem Konzert ein zumindest im nicht-audiovisuellen Bereich unauslöschliches, höchst individuelles Urteil fällt, mit dem sehr oft viele nicht einverstanden sind, am wenigsten die Künstler, die gegebenenfalls negativ beurteilt werden.
Die 1990 geborene Ukrainerin Diana Tishchenko, die bereits mehrere untergeordnete Preise und auch Erste Preise gewann, in Deutschland sehr gefördert wurde, schon berufstätig ist und viel Erfahrung aufzuweisen hat, machte den Auftakt des gestrigen Konzerts.
Sie spielte zunächst das Pflichtwerk, Qigang Chens romantisches Violinkonzert ‘La joie de la souffrance’. Nach einem sehr rhetorischen, ja leidenschaftlichen Anfang, begann sie als erste der bis dahin gehörten Interpretinnen einen wirklichen Dialog mit dem Orchester, wodurch sich die Leidenschaft ihrer Interpretation auch auf den Dirigenten Michael Stern und das Orchester übertrug. Mit einem gegenüber den Violinistinnen des ersten Abends deutlich stärkeren und durchsetzungsfähigeren Klang gelang ihr im Großen und Ganzen die bis dahin souveränste Darbietung des Konzerts, auch wenn die magischen Momente, wie sie Yun Tang hatte, hier ausblieben.
Für den Komponisten Qigang Chen war es die Entdeckung einer weiteren Interpretationsvariante. Wie er mir verriet, schlagen zwei Seelen in seiner Brust, wenn er die Entwicklung seiner Werke im Konzertsaal verfolgt. Einerseits will er sie nicht wirklich gehen lassen, sie nicht wirklich wachsen und sich verändern sehen, auf der anderen Seite hat gerade das aber für ihn auch etwas Magisches, das ihm verborgene Seiten seiner selbst zeigen kann.
Tishenko überzeugte im ersten Satz des Violinkonzerts von Piotr Tchaikovsky mit schön ausgeglichenen, legatobetonten, langen Melodiebögen. Sie musizierte spannungsvoll, völlig unmanieriert und mit einem guten Sinn für die Dramaturgie der Musik. Diese floss mit langen, gebundenen Phrasen, großartigem Atem, opulent, aber ohne jede Schwere, in völliger Harmonie mit dem von diesem Interpretieren infizierten Dirigenten und Orchester. Betörend erklang der langsame, sehr zartfühlend gespielte 2. Satz, ehe die Solistin sich in einen rasanten Schlusssatz stürzte. Für meinen Begriff war er hart an der Grenze zum ‘Zu schnell’, wirkte aber nicht verhetzt, weil Tishenko die Musik fulminant pulsierend antrieb, dennoch sehr musikantisch blieb und dabei eine fast kindliche Spielfreude an den Tag legte. Das Publikum zeigte sich zu Recht begeistert, und ich kam nicht umhin, festzustellen, dass Tchaikovsky seinen russischen Pass wiedererlangt hatte.
Die 22-jährige Jia Yi Chen, eine Senior-Studentin des Musikkonservatoriums aus Shanghai, die viel Kammermusik gespielt hat und bereits in ein China eine gefragte Konzertmeisterin ist, ging das Violinkonzert ‘La joie de la souffrance’ wiederum mit einem wachen Gespür für das chinesische Idiom an, irritierte aber anfangs mit Intonations- und Präzisionsschwierigkeiten. Auch lief ihre Erzählung weitgehend neben dem Orchesterpart ab und bleib meist recht anekdotisch. In den schnelleren Teilen des Werks blieb sie im Vergleich zu ihren Kolleginnen etwas gemütlich, brachte aber in den langsamen Teilen auch ganz schöne Momente zustande.
Als Wunschkonzert hatte sie Dvoraks wunderbares Opus gewählt, das sie offenbar auch richtig intus hatte und mit recht großem Klang souverän spielte. Ihr Musizieren war fein artikuliert, dynamisch schön abgestuft,, farbenreich und bestens geatmet. Ihr schön lyrischer Mittelsatz litt unter dem etwas lauten und undelikaten Holz.
Der Finalsatz wurde sehr tänzerisch und auch vom Orchester unter Michael Stern sehr schwungvoll gespielt, insgesamt viel klangvoller und kohärenter als es Yun Tang am Tag vorher getan hatte. Das war eine Interpretation aus einem Guss, sehr idiomatisch-slawisch, und die Begeisterung auf der Bühne übertrug sich auf den Saal: das Publikum spendete Jia Yi Chen den bisher stärksten Applaus.
Im letzten Konzert, heute Abend, spielt die 18-jährige und damit jüngste Konkurrentin das Brahms-Konzert; die 25-jährige Tschechin Olga Sroubkova hat neben dem Pflichtkonzert von Chen das Tchaikovsky-Konzert ausgewählt.