In letzter Zeit ist es üblich geworden, Anton Bruckner und seine Musik vom Weihrauchgeruch zu befreien und die Symphonien nicht von der religiösen Warte des Komponisten aus zu betrachten. Bruckner war zweifellos tief gläubig, was nicht bedeutet, dass seine Symphonien musikalische Hochämter sein müssen.
Auch Simon Rattle hat sich von dieser Lesart verabschiedet und präsentiert uns einen weniger pompösen, aufgebauschten Bruckner. Klanglich ist an Rattles Interpretation kaum etwas zu bemängeln. Er zügelt die Blechbläser, lässt die Streicher warm und unaufgeregt musizieren. Der Dirigent findet eine feine Klangbalance und schöne farbliche Abstufungen, mit forschen und zügigen Tempi. Auch dies beschädigt die Brucknersche Architektur keineswegs. Sie hätte allerdings etwas schärfere Konturen, wenn Simon Rattle nicht derart sparsam mit Rubati umginge, seine Tempi weniger stringent durchziehen würde. So erleben wir einen durchaus soliden, keineswegs langweiligen Bruckner, dem es jedoch etwas an Tiefenschärfe mangelt.