Artur Schnabel ist als Pianist eine außergewöhnliche Gestalt gewesen und bis heute bekannt. Sein weit weniger gehegtes kompositorisches Schaffen kann nun mit der Sonate für Violine solo erhört werden. Das in fünf ineinander übergehenden Sätzen komponierte Werk zeichnet sich, wie sein gesamtes Oeuvre, durch eine radikale Persönlichkeit aus. Keiner Richtung oder Schule verbunden, konnte Schnabel sich beim Komponieren frei entwickeln. Während etwa Alois Haba mit Viertel-, Sechstel- und Achtelton-Systemen Verfeinerungseffekte anstrebte, richtete Schnabel sein Interesse in die Ausdifferenzierung auf Tempo und Dynamik. Seine Sonate kann man als fortlaufend verändernden Strom ohne Wiederholungen sehen.
Schnabel war auch älterer Freund und Mentor des anderen Komponisten dieser Aufnahme, Eduard Erdmann. Obwohl Erdmann ebenso für seine pianistischen Fähigkeiten gerühmt wurde, war ihm selber das Klavierspiel nur notwendiges Übel zum Broterwerb. Ihm ging es um künstlerische Verwirklichung. Stilistisch konnte sich Erdmann mit den musikalischen Neuerern seiner Zeit nicht anfreunden. Er sah deren Bestrebungen als Sackgasse. Seinen persönlichen Ausdruck hat er in der der australischen Geigerin Alma Moodie gewidmeten Solosonate für Violine entwickelt. Unbedingte Linearität und Zielstrebigkeit bei der Harmonik sorgen für eine eigentümliche polyphone Welt, die in er späteren Werken intensiviert hat.
Diese höchst anspruchsvollen Sonaten zeigen beide großen Pianisten als zutiefst eigenständige musikalische Persönlichkeiten und Komponisten. Man darf beide Werke getrost als Raritäten bezeichnen. Das betrifft sowohl ihr Erscheinen in Konzertprogrammen als auch ihre Stellung im jeweiligen Schaffen. In ihrer Ausgestaltung sind sie einmalige Blöcke. Tiefe und Charakter gepaart mit technischen Schwierigkeiten kennzeichnen die Herausforderungen für jeden Interpreten.
Judith Ingolfsson stellt diese beiden Kompositionen vor, den Erdmann als Ersteinspielung. Nur eine Handvoll Geiger haben sie im Repertoire und die Aufnahme der Schnabel-Sonate von Christian Tetzlaff liegt auch schon ein Vierteljahrhundert zurück.
Von der Aufnahme her mit einem glasklar transparenten Klang eingefangen, der trotzdem die Musik lebendig klingen lässt, entwickelt Ingolfsson dieses Geigenliteraturgebirge ohne Ermüdungserscheinungen. Die gegenüber jener von Erdmann beinahe dreimal so lange Sonate von Artur Schnabel ist dabei sicherlich das Hochgebirge der beiden Werke, da sie allein von der Dauer her weitaus größere Zumutungen im Sinne der Konzentration und Gestaltungserfordernisse stellt. Dazu kommt die Gestaltung, die wegen der intellektuellen Freiheit des Komponisten schwieriger zu erobern ist. Alle diese Gipfel bewältigt Ingolfsson mühelos und bleibt dabei auf dem Pfad und hat auch noch die Muße, die Feinheiten am Wegesrand zu erkunden. Dass die Werke auf den Hörer eigentlich einen etwas spröden Eindruck machen, wird da zur Nebensache, so dass eine hörenswerte Entdeckung kennenzulernen ist.