Dass Michael Gielen ein bedeutender und weithin unterschätzter Dirigent war, kann nicht bestritten werden. Daher ist es mehr als lobenswert, dass SWR Music ihm im Hinblick auf seinen 90. Geburtstag im Jahre 2017 mit dieser Schallplatten-Edition ein Monument setzt. Gielen hat im Jahre 2014 seinen Beruf aufgegeben, in dem er in den Vierzigerjahren im argentinischen Exil – u.a. unter Erich Kleiber – seine ersten Schritte gemacht hatte.
In der ersten Box mit mehrheitlich Dokumenten aus den Sechziger-und Siebzigerjahren sind zunächst feingliedrige Mozart-Aufnahmen ohne Schwere und Pathos zu hören. Besonders eine Einspielung von Chören und Zwischenaktmusiken aus ‘Thamos, König von Ägypten’ verdient hier Interesse.
Es folgen zupackende, aber auch stellenweise verschmitzt-humorvolle oder, im Gegensatz, sehr feierlich-ernsthafte Interpretationen von drei Haydn-Symphonien. Die Beethoven-Ouvertüren und das Tripelkonzert sind schlank, überraschen aber auch durch manchmal bedächtige Tempi mit sehr gefühlvollen Momenten. Janigro singt ganz wunderbar auf dem Cello.
Welche gestaltende und formende Hände Gielen hatte, zeigt sich in einer mit viel dynamischen Nuancen und Rubato angereicherten Interpretation der Musik zu Schuberts ‘Rosamunde’. Besonders die Zwischenaktmusik nach dem 3. Aufzug mit dem SWR-Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg ist eine hinreißende, an manchen Stellen direkt magische Aufführung. Dieses Stück, das ich seit der Kindheit (in der alten Otterloo-Aufnahme) kenne, habe ich in den seither vergangenen über 50 Jahren nie so schön und so bewegend gehört.
Eine packende Aufnahme gibt es ebenfalls vom Streichquartett D. 810b (Der Tod und das Mädchen), in der von Gielen bearbeiteten Mahler-Transkription. Eine kraftvoll strahlende Aufführung der 5. Schubert-Messe beschließt das Programm dieser Aufnahmen, in der sich Gielen auch als ein vorzüglicher Orchestererzieher zeigt, denn schon das Niveau der Aufnahmen aus den Sechzigerjahren ist ganz beachtlich.
* Es gibt in den Begleittexten widersprüchliche Angaben zu den Aufnahmedaten. Auf der Box steht 1967-2010, aber im Textheft steht, die Aufnahme der ‘Sechs Deutschen Tänze’ sei von 2013.
Michael Gielen certainly was one of the great conductors of the 20th Century’s second half. So, this is a more then welcome homage, starting with a box comprising overall excellent and, in some cases, even outstanding recordings.