Erkki-Sven Tüür: Peregrinus Ecstaticus (Klarinettenkonzert) + Noesis (Konzert für Violine, Klarinette und Orchester) + Le poids des vies non vécues; Christoper Sundqvist, Klarinette, Pekka Kuusisto, Violine, Finnisches Radio Symphonieorchester, Hannu Lintu; 1 CD Ondine ODE 1287-2; Aufnahmen 04 + 05/2015, 08/2016, Veröffentlichung 02/2017 (57'43) – Rezension von Uwe Krusch

« Im Universum, das plötzlich wieder seinem Schweigen anheimgegeben ist, werden die tausend kleinen, höchst verwunderten Stimmen der Erde laut.“ Dieses Zitat aus dem Mythos des Sisyphos kann als eine Beschreibung zur Annäherung an die Musik des Esten Erkki-Sven Tüür herangezogen werden. Denn seine Werke entwickeln sich oft laut und intensiv, bis sie an einem Punkt abbrechen, in Stille verfallen bzw. zum Stillstand kommen, um dann wieder vehement zu beginnen. Eine andere Assoziation, die aus repetitiven Verarbeitung kurzer Motive erwächst, kann als das Anbranden von Wellen am Meeresstrand gesehen werden.

Ein weiterer Aspekt, der seine Musik geprägt hat, ist der sehr beschränkte Zugang zu anderen neuen Musikrichtungen bis hin zur Isolation, der aus der politischen Situation des Staates als estnische sozialistische Sowjetrepublik herrührte. Diese unfreiwillige Abgeschiedenheit bzw. auch die politischen Vorgaben führten zur Ablehnung großer Schulen und dazu, einen sehr persönlichen Stil zu entwickeln. So erinnern seine komponierten Klangwellen bis hin zur Ekstase sowohl an Naturprozesse als auch an gesellschaftliche Prozesse.

‘Noësis’ stellt insofern eine gewisse Besonderheit dar, als hier verschiedene Elemente zuerst aufeinander stoßen und in einem Prozess untrennbar zusammen kommen. Die aufsteigenden Klarinettenskalen stehen den absteigenden der Violine gegenüber und die Solisten spielen auch nicht zusammen. Das Orchester liefert dazu eine Geräuschkulisse. Diese Skalen entwickeln sich laufend, unterbrochen von orchestralen Ausbrüchen, angereichert mit Anklängen aus der estnischen Volksmusik. Im langsamen Mittelteil des attacca zu spielenden Werkes bildet sich die wahre Liebe der beiden Solisten heraus, die zu einem schnellen, fröhlichen Abschluss führt, der trotzdem mit einer Frage endet.

Im Klarinettenkonzert ‘Peregrinus Ecstaticus’ finden sich wieder die typischen kurzen Motive beim Soloinstrument vor dem Hintergrund eines dichter werdenden Orchesterklangs. Auf der anderen Seite meistert die Klarinette mikrotonale Sektionen, denen das Orchester wuchtige Orgelpunkte als Hintergrund liefert. Diese beiden Seiten kann man als äußerlichen Pilgerweg und innere Meditation ansehen und somit das Werk unter den Gedanken der Erhabenheit fassen.

‘Le poids des vies non vécues’ trennt mit seiner elegischen und abweichenden Struktur die beiden anderen Stücke auf dieser CD. Absteigende Linien nehmen den barocken Gedanken des Lamento auf.

Pekka Kuusisto ist ein vielseitiger Geiger, der sich sowohl in der symphonischen als auch der Kammermusik und darüber hinaus wohl fühlt. Ihm gelingt auch hier eine wegweisende intensive Darstellung seines Parts.

Der Klarinettist Christoffer Sundqvist hat den größeren Anteil an diesen Aufnahmen. Auch er fühlt sich sowohl in den großen als auch den kleinen musikalischen Formaten wohl. Seine Deutung des Klarinettenkonzerts und des Doppelkonzerts vermittelt seine intensive Nähe zu der gespielten Musik und belegt seine große Musikalität.

Das Finnische Radio Sinfonie Orchester unter seinem Chefdirigenten Hannu Lintu ist nicht nur ein bewährter Begleiter, sondern weiß seinen Beitrag intensiv und technisch versiert auszuleben.

This program offers a deep and characteristic insight in the work of Estonian composer Erkki-Sven Tüür. The exciting performances make this CD a great experience for the listener.

 

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