Hat es ein Zwillingspaar leichter ein Klavierduo zu bilden als zwei Pianisten, die keine Zwillinge sind?
Süher P.: Leichter und schwerer zugleich! Leichter deshalb, weil von Anfang an ein gemeinsames Denken und Fühlen vorhanden ist, das aber auf jeden Fall wegen der Vertiefung die gleiche Arbeit erfordert, wie bei jedem anderen Duo. Schwerer, weil andere Duos fürs Zusammensein kämpfen, während wir als Zwillinge immer zuerst unsere eigenen Gedanken in den Mittelpunkt stellen und danach erst das Gemeinsame, das wir ja sowie haben. Wir glauben, dass sich ohne die Gegensätze nie eine Harmonie entwickeln kann.
Worin unterscheiden Sie sich denn, wenn Sie von Gegensätzen sprechen?
S.P.: Unsere Charaktere sind verschieden, und wie wir ein Werk angehen, ist von vorne herein auch gegensätzlich. Ich bin mehr die Realistische, ich fange an, von der Struktur aus zu analysieren und baue so den Raum zuerst strukturell auf und gebe dann die Farben dazu, während Güher erst die Farben in dem Raum zusammenstellt oder verteilt und danach die Struktur festigt.
Güher P.: Außerdem ist bei uns beiden der Ton auch anders. Das ist gut, denn die Musik lebt von den Farben und von dem Ton des jeweiligen Pianisten. Das hat auch uns dazugeführt, Rücken gegen Rücken zu spielen und nicht mehr gegenüber, weil sich dadurch eben diese verschiedenen Farben entwickeln können, wie wir es wollen. Wenn die beiden Flügel ineinander stehen, ist nur ein Flügel geöffnet, der andere geschlossen und so gehen 80% des Klangs vom zweiten Flügel verloren. Wir brauchen uns nicht mehr zu sehen, wir fühlen uns sowieso viel stärker und wir konzentrieren uns auf das Fließen. Unsere Augen sind auch unsere Ohren.
S.P.: Zwei Dinge sind sehr entscheidend für unseren musikalischen Weg. Erstens der große Atem, den wir mit den Jahren tiefer und tiefer, länger und länger haben wollen, und das Zweite, so wichtig wie das Atmen, ist das Risiko. Je kontrollierter wir sind, umso freier wollen wir werden, und in der Freiheit oder in der totalen Kontrolle ist es uns möglich, die Freiheit zu genießen und auch das Risiko maximal zu formulieren.
Wenn man interpretiert, bestimmen möglicherweise auch externe Stimmungen die Interpretation. Wenn Sie denn nun beide an einem Tag verschiedene Erlebnisse hatten und in verschiedenen Stimmungen zu einem Konzert kommen, wie bringen Sie das zusammen?
S.P.: Alles, was wir an einem Tag erlebt haben, ist wichtig, aber in dem Moment, wo wir auf der Bühne sind, ist uns nichts mehr wichtiger als die Musik selbst und das ist schon seit unserer Kindheit so. Es ist die Musik in uns selbst, die uns dazu bringt, sofort zu unserer Mitte zu finden. Wenn wir unsere Mitte nicht finden können, dann können wir auch keine Musik zusammen machen. Am Tag des Konzertes gehen wir nie aus, wir sind total konzentriert, von morgens bis abends. Es ist wie ein Ritual. Wir proben immer um die gleiche Zeit und dann ziehen wir uns zurück auf unsere Zimmer, 4 Stunden lang machen wir nichts als einfach nur meditieren und durch das Meditieren ist es uns dann möglich, uns von nichts beeinflussen zu lassen.
Hat es nie unüberwindbare Differenzen gegeben bei einer Interpretation?
S.P.: Doch! Stravinskys Sacre du Printemps mussten wir absetzen, weil wir uns überhaupt nicht einigen konnten. Später und durch viel Arbeit, haben wir dann zusammen gefunden. Das ist ein normaler Prozess, das muss man akzeptieren, man kann nichts forcieren.
Arbeiten Sie eigentlich immer nur Ihren eigenen Part oder spielen Sie die zwei?
S.P.: Jede studiert beide Parts. Was mir bei anderen Duos auffällt, ist, dass sie den großen Atem nicht entwickeln können, weil sie immer wieder den gleichen Part spielen. Dadurch dass wir wechseln, bleibt es erstmal frisch, und man entdeckt immer wieder neue Aspekte. Drei Wochen vor einer Tournee entscheiden wir, wer den ersten und wer den zweiten Part spielt, und so bleibt es während der Tournee auch immer gleich. Wir haben einmal versucht , während einer Tournee hin und her zu wechseln, aber das hat uns dann ganz große Schwierigkeiten bereitet.
Man sagt ja manchmal, dass bei Zwillingen und auch bei eineiigen Zwillingen ein dominierender Charakter vorhanden ist, Sie Süher, haben viel mehr gesprochen in diesem Interview als Ihre Schwester. Heißt das, dass Sie die Dominierende sind?
S.P.: Ich bin die Mehrsprechende, aber nicht die Dominierende!
G.P.: Ich glaube, das ist auch eine Zeitfrage, auch zwischen uns fließt das Ganze, ohne dass wir es wahrnehmen. Manchmal führt sie eine Zeit lang und hat alles unter ihrer Kontrolle und plötzlich bin ich wieder derjenige, der entscheidet. Intuitiv!
Haben Sie eigentlich immer schon zusammen gespielt?
S.P.: Wir haben zusammen angefangen, mit sechs Jahren, richtig mit einem Lehrer am Konservatorium, wir haben noch mit 9 Jahren wir unser erstes Konzert mit Orchester gegeben, mit Mozartkonzerten, aber dann haben wir uns getrennt, weil jede für sich ihren Weg finden wollte. Unsere Lehrer und unsere Eltern waren uns sehr behilflich bei dieser Entscheidung. Stellen Sie sich einmal vor, wie es wäre, hätten wir seit unserer Kindheit immer zusammen gespielt: Dann hätten wir uns heute nichts mehr zu geben. Unser Studium war solistisch, auch Serkin und Arrau, mit denen wir studiert haben, waren sehr dafür, nur solistisch mit uns zu arbeiten. Serkin meinte: « Ihr seit für ein Duo geboren und das werdet ihr sowieso eines Tages machen, ich möchte mit euch nur solistisch arbeiten! » Und so haben wir zuerst auch nur solistische Wettbewerbe gewonnen. Wir sind z.B. in Deutschland zum Bundeswettbewerb individuell angetreten, bekamen aber beide den Ersten Preis, wir mussten ihn uns also teilen! Dann haben wir uns nicht mehr zusammen präsentiert. Einmal erhielt ich den Ersten Preis und im nächsten Jahr meldete sich meine Schwester zum selben Wettbewerb. Sie hat auch den ersten Preis bekommen, aber mit Komplikationen, weil man dachte, sie sei ich. Vor der Jury musste sie dann ihren Ausweis vorlegen, weil man nicht glauben konnte, dass es zwei von uns gibt.
G.P.: Wir haben z.B. auch nie die gleichen Stücke gespielt!
S.P. Und wir haben uns nie gehört, weil wir uns nicht beeinflussen wollten. So war es uns möglich, unsere Individualität und unseren individuellen Klang zu entwickeln und zu festigen. Nachdem wir dann in Juilliard unseren Master gemacht hatten, fragte uns jemand, warum wir nicht zusammen spielen würden. Er sagte, es gebe doch so viele Pianisten wie Sand am Meer, aber keine richtigen Duos! Und da es zu dem Zeitpunkt in Colorado schon einen Wettbewerb für Klavierduos gab, haben wir teilgenommen und gleich den Ersten Preis gewonnen. Danach gewannen wir mehrere Wettbewerbe und dann sahen wir, dass das unser Weg war. Es gibt sozusagen eine innere Uhr, die bestimmt, wohin letztendlich ein musikalischer Weg führt. Wir haben nie etwas erzwungen, wir wussten, dass wir eines Tages zusammen kommen, aber wir wussten nicht wann. Wir dachten: « Wenn es soweit ist, werden wir es auch merken! »
Das heißt, in Ihrem Elternhaus ist das Duospielen nicht unbedingt gefördert worden?
S.P. Unsere Eltern haben uns immer entscheiden lassen, was wir machen wollten. Wir wussten ziemlich früh, was wir wollten, und das war nicht die große Karriere. Wir haben nie geglaubt, dass wir so richtig Karriere machen würden, aber wir wussten dass wir Musiker werden wollten. Auch hatten wir so einige deprimierende Phasen wo wir sogar ans Aufhören dachten. Nach dem Abitur, das wir in Deutschland gemacht hatten, haben wir angefangen neben dem Musikstudium meine Schwester Psychologie und ich Philosophie zu studieren. Das waren dann auch die schwierigen Zeiten, so etwa 1970, mit den ganzen Studentenunruhen und wir waren sehr davon beeinflusst. Wir setzten uns dann ein für die türkischen Arbeiter, die ins Land kamen und keine Orientierung fanden. Wir waren in studentischen Menschenrechts-Gruppen aktiv, was uns mehr und mehr vom Klavier entfernt hat. Ich bedauere es aber gar nicht, denn es war eine gute Erfahrung, die uns dann auch umso intensiver zur Musik zurückgeführt hat,
Haben Sie beide diese ‘Revoluzzerphase’ gemeinsam durchgemacht?
S.P.: Das war nicht anders möglich, denn um uns herum war die Energie so stark, dass man einfach davon mitgenommen wurde. Und das Humanitäre, die Menschenrechte waren stets sehr wichtig für uns und sie sind es noch heute. Heute setzen wir uns realistischer ein.
Sie haben vorhin gesagt, dass für Sie die Farben in der Musik sehr wichtig sind. Wie produzieren Sie Farben?
S.P. Vor einigen Jahren, als wir noch sehr intensiv konzertierten – was wir nicht mehr tun und auch nicht mehr tun wollen, weil es uns zu sehr auslaugt und wir nicht mehr alles geben können, was wir möchten – waren Museumsbesuche, die Auseinandersetzung mit den Farben der Malerei, etwas was uns entspannt und zu uns selbst geführt hat, was uns wieder glücklich werden ließ. Ich glaube, für uns beide waren immer zwei Aspekte sehr wichtig, Farben und Timing. Das sind zwei Elemente, die einfach nicht zu trennen sind. Früher haben wir sehr viele Proben großer Orchester und großer Dirigenten besucht, Ormandy und Philadelphia Orchestra, oder in München, Celibidache und die Münchner Philharmoniker. Für uns war es sehr wichtig zu lernen, wie sie mit dem Orchester umgingen und aus jedem Instrument eine eigene Farbe heraus arbeiteten. Das gab uns auch bei unserer Arbeit unheimliche Impulse!
In Ihren Vornamen ist ja eigentlich schon viel Farbe vorhanden, was bedeuten Ihre Namen eigentlich?
S.P.: Es war für uns auch interessant zu erfahren, dass unsere Namen etwas von unserer Arbeit beinhalten. Mein Name bedeutet Fließendes Wasser, und wir haben immer in der Musik das Fließende gesucht und das wird auch bis zum Schluss so bleiben. Güher ist ein seltener Edelstein mit vielen Farben! Auch unser Nachname bedeutet etwas, in zwei Etappen: Pekin heißt stark und El bedeutet Hand, also starke Hand!