Karol Rathaus wurde am 16. September 1895 in polnischen Tarnopol geboren, das damals zu Österreich-Ungarn gehörte. Er starb am 21. November 1954 in New York. Studiert hatte er bei Franz Schreker in Berlin und bekleidete dort in den Zwanzigerjahren des 20. Jahrhunderts die Position eines Lehrers für Komposition und Musiktheorie an der Hochschule für Musik. Erste Werke folgten, mit denen er für Furore sorgte und große Erfolge feierte. Im Jahre 1932 ging er nach Paris in die Emigration; später begab er sich nach London, bevor er sich in New York endgültig niederließ. Dort trat er eine Professur für Komposition am Queens College an; in dieser Stellung brachte er es zu Ansehen und Beliebtheit. Darüber hinaus war er auch weiterhin als Komponist sehr produktiv. Territorial gesehen ist er schwer festzulegen. Sein erster Biograph hatte schon die Frage aufgeworfen, ob Rathaus denn nun Pole sei, Amerikaner oder Jude.
Rathaus’ Tonsprache mischt das Traditionelle mit radikaler Modernität. Einzelne Kritiker feierten ihn, ehe er 1932 ins Exil ging, als eine der größten Hoffnungen des 20. Jahrhunderts. Andere zerrissen seine Werke, und auch das Publikum stand ihnen meist ablehnend gegenüber. Doch die expressive Musik sollte eigentlich heute besser bekannt sein.
Die erste Klaviersonate wurde zwar schon aufgenommen, aber die Aufnahme mit Vladimir Stoupel scheint mir auf Anhieb die beste von denen zu sein, die derzeit erhältlich sind. Die noch spätromantisch einzuordnende Sonate spielt der Pianist mit viel Intensität und Ausdruckskraft. Besonders faszinierend ist das Lento con espressione, in dem Stoupel einen sehr hohen Grad an Verinnerlichung erreicht, die sein Spiel sehr bewegend werden lässt. Das sind rund 10 Minuten mit einem packenden, tief berührenden Klavierspiel. Mit ähnlich glutvollem Ausdruck und zuzüglich stupender Virtuosität spielt Vladimir Stoupel die Dritte Sonate, deren klangliche Nähe zu Scriabin der Pianist in seinem Booklettext herausstreicht.
Auf der zweiten CD dieses Albums bewährt sich Stoupel als hoch virtuoser Interpret in den beiden Shostakovich-Sonaten. Die einsätzige erste Sonate ist sehr effektvoll, mit Kontrasten, die der Pianist maximal leidenschaftlich ausleuchtet.
Die gegenüber ihrer Vorgängerin weit weniger effektvolle Zweite Sonate braucht einen phantasievollen Interpreten, um wirkungsvoll zu erklingen. Stoupel hat das gestalterische Talent und die Fähigkeit, das Werk in seinen langsamen wie in seinen virtuosen Teilen instinktiv richtig erklingen zu lassen. Da wirkt nichts konstruiert oder intellektuell verbrämt. Stoupel hat diese phänomenale Ausdruckskraft und jene Sicherheit des Akzentes, der über ganze Perioden Licht und Schatten verteilt und den Hörer zum Miterleben zwingt.