Dieser Sibelius wird polarisieren. Paavo Järvi und das hier hervorragende ‘Orchestre de Paris’ bieten eine Leseart, die es in sich hat. Sie schaffen quasi surreale Landschaften, denn Järvi nimmt die Partituren auseinander, entstaubt sie und setzt sie wieder zusammen. Der Melodienseligkeit traut er nicht so richtig, er wirft einen kritischen Blick hinter diesen Wohlklang und entdeckt dabei so manche Ungerade. Ja, Sibelius’ Musik ist wirklich modern und in dieser Leseart sehr dramatisch und hochexpressiv. Allerdings treibt es Järvi nie zu weit, der Sechsten lässt er ihren pastoralen Charakter und auch die Zweite darf in Schönklang schwelgen, obwohl es in seiner Interpretation immer noch genug Momente gibt, die dies in Frage stellen.
Wer die späten Aufnahmen von Bernstein mit ihrer romantischen Üppigkeit und ihrer Kitschnähe kennt, der wird hier das komplette Gegenteil erleben. In diesem Sinne ist Järvis Interpretation nicht gefällig, dafür aber herausfordernd und neu. Sie öffnet Perspektiven, die dem liebgewonnenen Sibelius-Bild entgegenwirken und dabei uns als Hörer auf die Probe stellen.
Das ‘Orchestre de Paris’ mit seinen exzellenten Solisten nutzt die Gunst der Stunde und spielt, wie es besser wohl nicht geht.
Obwohl dieser Zyklus zwischen Oktober 2012 und März 2016 über fast vier Jahre live in der Salle Pleyel und in der Philharmonie de Paris aufgenommen wurde, besticht er durch ein konsequentes Konzept und musikalische Geradlinigkeit. Für mich ist es eine der allerbesten Gesamtaufnahmen.