Krzysztof Penderecki hat einen neuen Protégé: der 21-jährige polnische Pianist Szymon Nehring spielt unter seiner Leitung auf dieser CD das Erste Klavierkonzert von Frédéric Chopin. Nehring hatte uns mit seiner ersten Schallplatte begeistert und wurde dafür mit unserem Supersonic Award ausgezeichnet. Die Begeisterung ist diesmal nicht weniger groß. Im harmonischen und gegenseitig befruchtenden Zusammenspiel zwischen Jung und Alt erreichen Penderecki und Nehring im Opus 11 eine wunderbare Mischung von Emotion und Frische.
Der Dirigent findet schon in der Einleitung so manche gefühlvolle Geste, und der Pianist geht mit einem ähnlichen Gespür für das ‘unsentimental Gefühlvolle’ an die Musik heran. Das mag paradox klingen, ist es aber nicht, denn Nehrings Sensibilität verhindert, dass der Gefühlsausdruck rührselig wird und garantiert in den Ecksätzen dank spontaner Akzente immer eine angenehme Frische.
Das 1. Klavierkonzert Chopins gehört zu den schwierigsten der Literatur. Chopins Ausdrucksvielfalt ohne Trivialität und ohne Oberflächlichkeit gerecht zu werden, haben eigentlich die wenigsten Pianisten geschafft. Szymon Nehring ist eine Ausnahme. Was er im zweiten Satz macht, ist risikoreich. Mit 10’52 ist er um anderthalb Minuten länger als die meisten seiner Kollegen. Nur Askenase und Leonskaja haben die 10 Minuten-Grenze überschritten. Doch Penderecki und Nehring schweben hier auf einer Wolke: die Romanze wird zum Gedicht, zum Traum, oder, um mit Eichendorff zu sprechen: « Es war, als hätt’ der Himmel die Erde still geküsst. » Die Musik wird aber durchaus auch von ernsteren Gedanken gestreift, so als denke Chopin hier schon an zukünftiges Leid. Und dann sind die fast 11 Minuten doch noch viel zu schnell um, der Traum ausgeträumt, um Platz zu machen für ein sehr verspieltes Finale, sehr klar, sehr transparent und sehr farbig, alles in der richtigen Mischung für Chopins differenzierte Klangwelt. Krzysztof Penderecki und die exzellente ‘Sinfonietta Cravovia’ begleiten einfühlsam und mit bemerkenswerter Präsenz.
Die Positiva in der Gestaltung des 2. Klavierkonzerts sind vor allem der intensive Dialog zwischen Orchester und Solist und das wunderbar agogische Spiel des Pianisten. Jurek Dybal gibt sich unendlich viel Mühe, dem Orchester, vor allem den Holzbläsern, zu einem differenzierten Spiel zu verhelfen. Trotz Betonung der lyrischen Elemente und eher langsamen Tempi fehlt es der Musik nie an Kraft und Spannung. Das liegt an Nehrings Spiel, der mit Rubati, dynamischen Nuancen, Akzenten und Farben für ein bemerkenswertes Innenleben sorgt. So kommt es zu einer für meine Begriffe optimalen Mischung aus Poesie und feinnerviger Kraft, in der kein Leerlauf und keine Langweile aufkommen können. Ob im Maestoso, dem Larghetto oder dem Allegro vivace, jede Passage wird mit ungemein viel Relief modelliert, jede Note, jeder Akkord erlangt eine Klangqualität, wie man sie selten hört. Und doch dient alles Technische, all das Raffinement dieser Interpretation nur der Poesie. Ja, diese beiden Chopin-Konzerte mit Szymon Nehring sind Poesie pur.