Vorab dies: wir haben es uns als aktuelles Musikmagazin zum Prinzip gemacht, Schallplatten, die uns zu lange nach der Erstveröffentlichung erreichen, nicht mehr in Betracht zu ziehen. Hier wollen wir eine Ausnahme machen. Diese SACD wurde im März 2015 veröffentlicht, und der Herausgeber hat sie uns im Januar 2016 zugeschickt. Wenn wir die Platte dennoch rezensieren, dann, weil sie die erste Einspielung des Ersten Klavierkonzerts von Piotr Tchaikovsky in der einzigen vom Komponisten autorisierten Fassung von 1879 anbietet – das ist jene Partitur, die Tchaikovsky selber bis zu seinem Tod benutzt hat. Danach erfolgten eine Reihe Veränderungen, vorgenommen wahrscheinlich von Alexander Siloti, und die heute normalerweise gespielte Fassung ist eben diese revidierte, die Tchaikovsky wohl nie gesehen hat.
Nun glaube man nicht, es handele sich um Veränderungen, wie man sie zwischen den einzelnen Fassungen einer Bruckner-Symphonie feststellen kann. Aber die Unterschiede sind dennoch nicht unwesentlich. Die überraschendste Änderung ist gleich am Anfang zu hören, und sie wird jeden, der das Konzert kennt, aufhorchen lassen.
Aber auch sonst sind viele Details ‘anders’, zumal im Finale, das ich wirklich als kohärenter und auch schöner und reicher empfinde.
Aber diese Kohärenz ist etwas, was diese Aufnahme auszeichnet, und ich weiß nicht, inwieweit die Interpretation von Gerstein und Gaffigan nicht vielleicht auch die revidierte Fassung hätte kohärenter werden lassen, ob Solist und Dirigent nicht mit Silotis Version dem oft etwas bombastisch wirkenden Klavierkonzert einen weicheren, lyrischeren Touch mit vielen neuen Farben gegeben hätten.
Wie auch immer: die neue Myrios-Produktion verdient Beachtung, zum einen wegen der Tchaikovsky-Einspielung, aber auch wegen der großartigen Interpretation des Zweiten Klavierkonzerts von Sergei Prokofiev, in dem James Gaffigan und Kirill Gerstein das Reflektive und Lyrische einerseits mit dem Virtuosen, das freilich hier ohne die Showeffekte auskommt, die man bei anderen Pianisten vernehmen konnte. Die Intensität der Rana-Aufnahme mit Pappano erreicht diese Produktion allerdings nicht.
Die Tonaufnahme ist räumlich und es fehlt ihr nicht an Präsenz und Relief.