Franz Schubert: Klaviersonaten Vol. 2 (Klaviersonaten D. 537, 894, 958, 958 + Adagio E-Dur D. 612); William Youn, Klavier; 2 CDs Sony Classical 194399162620; Aufnahmen 2020/2021, Veröffentlichung 09.2021 (137') - Rezension von Remy Franck
Die Sonate D. 537 vom 19-jährigen Franz Schubert, seine Vierte, ist die erste, die er fertiggestellt hat. Auffällig ist darin vor allem eine ganz ungewöhnliche Rhythmik. William Youns Gestaltung dieser so subtilen Rhythmen ist gekonnt differenziert und lässt die Musik sehr lebendig und ausdrucksvoll werden.
Das kurze, verträumte Adagio D. 612 führt zur Sonate D. 959, die Schubert im Todesjahr 1828 komponierte. Youn spielt sie musikalisch sehr überlegt, souverän in der Gestik, sehr lebendig, aber dynamisch weniger kontrastreich als manche seiner Kollegen das tun. Das erweckt den Eindruck, dass Schubert die Unbeschwertheit der drei Sätze um das Andantino herum nur vorgetäuscht hat. Das war nur Fassade.
Die tieftraurige Hoffnungslosigkeit im Andantino kontrastiert mit einer fast besessenen Wut, die aber letztlich nur weitere angsterfüllte Abgründe bloßlegt.
Die achtzehnte Sonate D. 894 von Oktober 1826, mit dem manchmal verwendeten Beinamen ‘Fantasie’, ist eine von Schuberts enigmatischsten Sonaten, mit einer Musik, die « zwischen Lächeln und Tränen sehr behutsam in immer neuen Varianten ihren Weg sucht », wie Guy Wagner einmal notierte.
Verstörend ist schon, wie Youn den Anfang des ersten Satzes formuliert, und auch im weiteren Verlauf wird vor allem die Orientierungslosigkeit des Komponisten spürbar. Wärme und wienerischer Charme wie man ihn anderswo gehört hat, will sich hier nicht einstellen. Diese positiveren Stimmungen entwickeln sich nur langsam und kommen erst in den beiden letzten Sätzen zum Tragen.
In der Sonate in c-Moll D. 958 benutzt der Pianist viel differenzierende Ausdruckskraft, um der Musik jene innere Unruhe zu geben, die so charakteristisch für diese eigenwillige 19. Sonate ist. Das Adagio ist eine Folge von Fragen ohne Antworten. Youns Interpretation dieser Sonate zeigt wie gut er Schubert und die Tief- und Hintergründigkeit der Schubertschen Musikwelt kennt.
The Sonata D. 537 by the 19-year-old Franz Schubert, his fourth, is the first one he completed. What is striking in it is, above all, a very unusual rhythm. William Youn’s shaping of these subtle rhythms is skillfully differentiated and makes the music very lively and expressive.
The short, dreamy Adagio D 612 leads to the Sonata D 959, composed by Schubert in 1828, the year of his death. Youn plays it musically very thoughtfully, confident in gesture, very lively, but dynamically less contrasted than some of his colleagues do. This gives the impression that Schubert only feigned the lightheartedness of the three movements around the Andantino. It was only a facade.
The profoundly sad hopelessness in the Andantino contrasts with an almost obsessive rage, but that ultimately only exposes further angst-filled abysses.
The eighteenth Sonata, D 894 of October 1826, with the sometimes-used epithet ‘Fantasy,’ is one of Schubert’s most enigmatic sonatas, with music that « very cautiously seeks its way between smiles and tears in ever new variations, » as Guy Wagner once noted.
The way Youn phrases the opening of the first movement is already unsettling, and the composer’s disorientation is most palpable in the rest of the work as well. Warmth and Viennese charm as heard elsewhere do not want to emerge here. These more positive moods develop only slowly in the last two movements.
In the Sonata in C minor, D 958, the pianist uses a great deal of differentiating expressiveness to give the music that inner restlessness so characteristic of this idiosyncratic sonata. The Adagio is a series of questions without answers. Youn’s interpretation of this sonata shows how well he knows Schubert and the depths of Schubert’s musical world.