Herr Scharfenberger, 2019 ist das zweite von Ihnen programmlich voll konzipierte Festival. Was machen Sie anders als Ihr Vorgänger?
Ich arbeite – anders als Hermann Lewen – ganz klar mit Themensetzungen. Idealerweise schlagen wir dabei im eine Brücke zum jeweiligen Motto der Landesstiftung Kultursommer Rheinland-Pfalz von der wir eine signifikante Förderung erhalten. Unser Thema 2019 lautet « Ich habe manchmal Heimweh, ich weiß nur nicht wonach“. Es stammt aus dem Emigranten-Monolog von Mascha Kaléko und nimmt damit ganzen engen Bezug zum diesjährigen Kultursommer-Motto « heimat / en“. Weiter bauen wir, alles im Rahmen unserer Möglichkeiten, eine gezielte Programmschiene für Kinder, Jugendliche und Familien auf wie auch eine Reihe für junge Künstler. Ich halte das bei einem Festival, welches doch zu immerhin ein Drittel öffentliche Förderung erhält für wichtig um sich stärker in der Gesellschaft zu verankern. In Zeiten in denen Musik- und Kunstunterricht in Schulen immer häufiger zurück gefahren wird, die Musik von jungen Menschen fast ausschließlich durch Streamingdienste konsumiert wird und 24 Stunden sieben Tage die Woche, zumeist kostenlos zur Verfügung steht, geht es mir darum wirkliche Erleben von Musik zu fördern.
Es gibt dieses Jahr etliche Nicht-Klassik Events. Bewegt sich das Mosel Musikfestival von der Klassik weg?
Nein, überhaupt nicht. Ich glaube, dass Menschen sich gerade auch für klassische Musik begeistern lassen, wenn sie sie in bestimmten emotionalen Kontexten erleben. Sie ist dann wichtig und relevant, wenn es uns gelingt einen Lebensbezug zu unserer heutigen Welt herzustellen. Dann lassen sich nicht nur junge Menschen, sondern auch ein großer Teil der Leute, die heute (noch) nicht zu uns kommen für klassische Musik begeistern. Ich möchte mit einer Erweiterung des Programmangebotes verhindern, dass Konzerte zu einem musealen, bildungshuberischen Traditionsgut erstarren und sich ritualhaft immer das Gleiche wiederholt. Das bedeutet für Kulturinstitutionen jedweder Art, dass wir immer uns immer wieder dazu ermahnen müssen, aus unserer ‘bubble’ hinauszugehen, Geschmacks- und Denkschablonen abzulegen, Neugierde zu wecken und zu zeigen, dass diese Musik uns hilft, zuhören zu können, Komplexität zu verstehen, Kreativität auszubilden. Wir hatten da im vergangenen Sommer da ganz tolle Rückmeldungen aus dem Publikum, die beispielsweise zum Konzert von Christian Poltéra und Wolf Wondratschek kamen. Wäre das ein klassisches ‘Frontalkonzert’ mit Frack und steifer Abendrobe gewesen, hätten sich die Menschen möglicherweise nicht mit äußerster Konzentration und Aufmerksamkeit auf eine Solo-Sonate von Benjamin Britten eingelassen. Aber Musik aus dem 20. Jahrhundert auf einem 300 Jahre alten Cello in einer alten 400 Jahre alten Bibliothek umrahmt von Texten aus dem 21. Jahrhundert zu erleben, das entwickelt eine Magie, der man sich schwer entziehen kann und wo diese Musik auf einer anderen Ebene erreicht und berührt, als wenn wir nur sagen, es ist wichtig, das zu kennen, es gehört zu einer gewissen Bildung dazu. Der Ansatz über den Distinktionsgewinn funktioniert heute überhaupt nicht mehr. Es sind die besonderen Anlässe, die wir schaffen müssen. Dann bin ich überzeugt, dass Menschen verstärkt zu uns finden, bereit sind die Vorurteile gegenüber klassischer Musik abzulegen und sich auch auf Begegnungen mit neuer Musik, Jazz oder wie in diesem Jahr Musik von der Seidenstraße, Südafrika oder Armenien einzulassen.
Was waren für Sie die größten Schwierigkeiten bei Ihrem Amtsantritt?
Ich glaube die größte Herausforderung ist die, dass es für Außenstehende schwer nachvollziehbar ist, was es heißt, eine solche Institution nach einer 32 Jahre währenden, erfolgreichen Intendanz zu übernehmen. Als Hermann Lewen das Festival 1985 gründete, war seine Idee neu und innovativ. Konzerte an ungewöhnlichen Orten sowie Klassik und angrenzende Musikgenres zu verbinden, damit war er ein wirklicher Vorreiter. 34 Jahre später, gibt es alleine in Deutschland jährlich mehr als 600 Musikfestivals, jede Menge mobile Endgeräte, Digital concert halls und ein World wide web, in dem 24 Stunden täglich nahezu alles in zum Teil herausragender Bild- und Tonqualität und zumeist fast kostenlos zu haben ist. Wir möchten diese innovative Idee des Gründers für das 21. Jahrhundert weiterentwickeln. Das hat mit Veränderung zu tun und auch wenn man Veränderungen behutsam vornimmt tun sich Menschen zunächst einmal schwer damit. Es geht also um Evolution und nicht um Revolution, dafür brauchen wir Zeit. Uns geht es auch nicht um ‘künstlerische Experimente’ und in keiner Weise um Selbstverwirklichung, sondern darum um unser Alleinstellungsmerkmal zu entwickeln in diesem überreichen Kultur- und Freizeitangebot. Es wird darum gehen, uns jedes Jahr ein Stück weit neu zu erfinden, mit eigenen Produktionen Einzigartigkeit zu kreieren und so die wunderschöne Gründungsidee des Festivals im 21. Jahrhundert lebendig und frisch zu halten.
54 Konzerte an 43 Spielstätten, ist das nicht ein zu großer logistischer Aufwand?
Ja, der Aufwand und die logistische Leistung ist enorm. Dieses Jahr haben wir beispielsweise 470 Musikerinnen und Musiker aus 37 Nationen zu Gast Jede Spielstätte, die ja in den seltensten Fällen ein originärer Konzertort hat, ist ihre ganz besonderen Herausforderungen. Aber gerade das ist es ja, was die Menschen in heutiger Zeit mehr denn je suchen. Das geht nur mit völliger Hingabe an diese Idee und einem fantastischen kleinen Team, das hier oft bis an die Grenzen gefordert ist und Übermenschliches leistet. Das haben wir zum Glück. Der Einsatz und das Engagement, ihr Mitdenken kann ich nicht hoch genug loben, und Festivalkollegen reiben sich nicht selten die Augen, wenn ich erzähle, dass wir das alles mit fünf Leuten und einigen hervorragenden Technikdienstleistern stemmen.
Was macht eine gute Location für Sie aus?
Ich glaube das Beispiel des Konzertes in der Bibliothek des bischöflichen Priesterseminars hat es gut beschrieben, ebenso gut wie ein Konzert mit Werken, die Lebensstationen und die Zeit von Jenny und Karl Marx abschritten und das wir in einer hochmodernen Fertigungshalle eines Schaltanlagenbauers veranstalteten, oder Formate wie ‘Nachts in der Basilika’. Ich bin dann wirklich zufrieden, wenn es gelingt eine ganz besondere Synthese von Raum, Programminhalt und Künstler zu schaffen. Die Architektur einer Brucknersinfonie, erleben wir in einer Kathedrale anders als in einem Konzertsaal, eine Palestrina-Messe entfaltet eine andere Wirkmächtigkeit in einer gotischen Kirche als in einer Philharmonie. Wenn diese Verschmelzung gelingt, wenn Menschen durch so ein Setting begeistert und verzaubert sind, dann ist perfekt und dann muss man sich um den Konzertbetrieb der Zukunft auch keine Sorgen machen.
Ist das MMF finanziell ausreichend ausgestattet?
Ich möchte es nicht immer nur alles aufs Geld reduzieren. Gerade im vergangenen Jahr gab es ein großes und starkes Bekenntnis seitens der Gesellschafter und des Kultursommers Rheinland-Pfalz, das Festival in dieser komplexen Übergangsphase stärker zu stützen. Das ist ein sehr wichtiges Signal, und dafür sind wir immens dankbar! Um auf Dauer in einem überreichen Veranstaltungsmarkt, mit einem sich immer schneller ändernden Kulturnutzerverhalten zu bestehen, wird ein solches Angebot, wie wir es z. Zt. bieten, nur aufrecht erhalten zu sein, wenn wir uns personell und damit auch finanziell noch anders aufstellen. Verglichen mit anderen Destinationen-Festivals (Schleswig-Holstein, Rheingau oder Mecklenburg-Vorpommern) liegen wir da in einem bescheidenen unteren Bereich. Wir sind in Zukunft gefordert noch stärker Drittmittel zu generieren, denn nach 33 Jahren haben wir auch intern einen gewissen ‘„Sanierungsstau’.
Aber auch Projekte wie festival@school sind so ungeheuer wichtig um zu zeigen, wir machen nicht nur Konzerte für ein paar ‘wealthy happy few’, sondern wir möchten in die Gesellschaft hineinwirken. Aber auch sie sind zeit-, personal- und kostenintensiv. Wir möchten Uraufführungen und eigene Kreationen verwirklichen, junge Musiker fördern, das Festival soll Sinn stiften und einen inneren Antrieb haben und dafür werden wir mittel- und langfristig mehr Geld benötigen, denn wir wollen unsere Künstler fair bezahlen. In vielen Berufsgruppen gibt es heutzutage Mindestlöhne. Man darf sich da nicht von den Spitzengagen der musikalischen Superstars blenden lassen, das sind absolute Ausnahmen. Es gibt eine Menge hervorragend ausgebildeter, fantastischer Musikerinnen und Musiker, die teilweise am Existenzminimum leben.
Wenn sie das Mosel Musikfestival mit einem Wort beschreiben müssten…?
Dürfen es drei sein? Alles. außer. gewöhnlich!