Eigentlich ist es seitens des Labels Carus überflüssig zu erwähnen, dass es sich bei jeder der hier vom SWR Vokalensemble unter der Leitung von Frieder Bernius aufgenommenen Motetten Hans Fährmanns (1860-1940) um Ersteinspielungen handelt. Viel interessanter ist doch, dass diese CD überhaupt erstmalig das Vokalschaffen dieses Komponisten würdigt: Bislang wurde dies nur seinen Orgelwerken zuteil.
Nun ist es keine Schande, sich zu fragen: Hans wer? Fährmann war Musiklehrer, Dozent und Professor in Dresden, seine musikalische Sprache ist die der Spätromantik und zwischen Johannes Brahms und Max Reger, ja vielleicht bis hin zu den Transkriptionen Clytus Gottwalds angesiedelt, dem sich das SWR Vokalensemble ohnehin tief verbunden fühlt (nicht ohne Grund wirbt Carus im Booklet für die entsprechenden Aufnahmen des Chores). Tonalität ist also Trumpf: Entstanden sind die vorgestellten Werke zwischen 1911 und 1914, einer Zeit also, in der ein Arnold Schönberg kompositorisch bewusst neue Wege ging. Flächige Klänge und kühne Modulationen sind das Markenzeichen von Fährmanns Musik. Der Chor überzeugt mit sattem, doch stets transparentem und ausgewogenem Ensembleton.
Die Motette Die mit Tränen sähen (Opus 56) eröffnet die Werkschau, eine Sammlung von Sprüchen und Psalmen (Opus 45 und 34) folgen. Der bislang Unbekannte wird in ganzer Breite präsentiert. Große Bögen und dynamische Ausrufezeichen markieren den Charakter dieser Aufnahme, die Fährmann fraglos ein würdiges Denkmal setzt – der Impetus dieser Aufnahme ist aller Ehren wert. Doch vielleicht wäre eine Annäherung an diese vergessene Musik noch besser gelungen, wenn man sie, etwas zaghafter, in Verbindung mit Zeitgenossen und damit dosierter angegangen wäre. Man darf gespannt sein, ob die Wiederentdeckung Inspiration oder eher singuläres Ereignis bleibt.