Die isländische Geigerin Judith Ingolfsson und der aus Russland stammende Pianist Vladimir Stoupel gehen sehr zupackend und betont rhythmisch an den ersten Satz von Louis Viernes Violinsonate heran.
Die einst von Eugène Ysaÿe bestellte und gerne in Konzerten gespielte Sonate hat in diesem Allegretto risoluto sehr viel Spannung und dunkle Aufgewühltheit, die stark mit dem langsamen Satz, ‘Calme’, kontrastieren. Dabei entstand die Komposition 1906, lange vor den vielen Schicksalsschlägen, die das Leben des Komponisten belasteten. Der zweite Satz wird von Ingolfsson und Stoupel mit viel reflektiver Zärtlichkeit gespielt, und bekommt gegen Schluss einen meditativen Charakter. Das als Intermezzo fungierende ‘Très vif’ erhält in seiner Lebhaftigkeit in dieser Interpretation einen entschlossen-obsessiven Charakter und mündet so ins Finale, das über seine Leidenschaftlichkeit hinaus auch genug Melancholie enthält, um einen packenden Stimmungsdualismus zu schaffen, der in dieser inspirierten Interpretation gut zum Ausdruck kommt.
1917 war der Sohn von Louis Vierne wegen Aufbegehrens gegen die erlebten Kriegsgräueltaten zusammen mit einigen Kameraden erschossen worden. Andere Quellen bestreiten das und behaupten, Jacques habe angesichts der Grausamkeit des Kriegsgeschehens Suizid begangen. Wie dem auch sei: Dem Sohn zu Ehren ‘mort pour la France à 17 ans’, schrieb Vierne sein Klavierquintett op. 42. Vierne hing an seinem zweiten Sohn – der erste war 1913 an Tuberkulose gestorben – und er machte sich umso größere Vorwürfe, als er, der nach der Scheidung von seiner Frau das Sorgerecht erhalten hatte, dem Minderjährigen die Einwilligung gegeben hatte, als Volontär der Armee beizutreten. Zum Quintett schrieb er: « J’édifie en ex-voto un quintette de vastes proportions dans lequel circulera largement le souffle de ma tendresse et la tragique destinée de mon enfant. Je mènerai cette œuvre à bout avec une énergie aussi farouche et furieuse que ma douleur est terrible, et je ferai quelque chose de puissant, de grandiose et de fort, qui remuera au fond du cœur des pères les fibres les plus profondes de l’amour d’un fils mort… Moi, le dernier de mon nom, je l’enterrerai dans un rugissement de tonnerre et non dans un bêlement plaintif de mouton résigné et béat. (I am building one ex-voto of vast proportions, in which the breath of my own tenderness and the tragic destiny of my child will circulate. … I will complete this work with an energy as ferocious and furious as my woe is terrible. I, the last to bear my name, I will bury him in a roar of thunder and without resignation).
Trauer, innere Revolte, aber auch die Zärtlichkeit der Erinnerung bestimmen den Charakter des Werks, das auf dieser CD in einer packenden Interpretation zu hören ist. Ingolfsson und Stoupel sowie ihre Kollegen Rebecca Li, Stefan Fehlandt und Stephan Forck spielen emotional, aber ohne Show, immer mit einer nach innen gerichteten, quasi zentrifugalen Gefühlskraft.