Nicht den glühenden Impetus sucht der kolumbianische Dirigent Andrés Orozco-Estrada in seinem Brahms-Zyklus, sondern er leuchtet die Musik von innen aus. Aber es gibt noch mehr Besonderheiten. Schon im ersten Satz der Ersten Symphonie fallen einige sehr zart formulierte Passagen auf, und der zweite Satz zeigt Orozco-Estrada auf der Suche nach Brahms’ innigsten Gefühlen. So zartfühlend, so liebevoll, so innig hat man dieses Andante selten gehört. Das folgende Allegretto wird flüssig musiziert, bleibt aber recht unverbindlich, und auch im Finalsatz fehlt es mir etwas an Kraft. Es wird allerdings recht klar, dass Orozco-Estrada seinen Brahms eher schlank und transparent gestaltet und damit etwas an Entschlossenheit opfert. Daran muss man sich erst gewöhnen.
Logisch daher, dass gerade die Zweite, Brahms’ Pastorale, Orozco-Estrada wunderbar gelingt. Diese Symphonie dirigiert der Kolumbianer mit einer zauberhaften Einfachheit, mit zarten Tönungen und viel Lyrismus, den er etwa im zweiten Satz mit einigen ungewohnten Akzenten auflockert.
Die Dritte Symphonie wird flüssig und lyrisch musiziert, mit einem angenehm transparenten Orchesterklang, und in der Vierten bleibt Orozco-Estrada seinem Konzept eines schlanken, durchhörbaren Brahms treu, wobei diese Symphonie durch ihren inneren Klangreichtum und zugleich auch durch ihre relative Entspanntheit auffällt.
Orozco-Estradas Brahms-Zyklus hat mithin Charakter, er ist persönlich und gründet auf einer sehr disziplinierten Auffassung, die die vier Symphonien als eine Art vergrößerte Kammermusik zeigt.
Andrés Orozco-Estrada’s Brahms is transparent, lean and well-shaped, with a natural, unforced lyricism.