Eine Frage, die sich unser Rezensent Alain Steffen immer wieder stellt, ist die, ob kleinere Opernhäuser heute noch fähig sind, große Wagner-Opern adäquat zu besetzen. Im Falle von Tristan und Isolde am Théâtre National de Lorraine in Nancy kann er das nicht bejahen.
Dabei war die moderne Inszenierung von Tiago Rodrigues hoch interessant. Er ließ Tristan und Isolde in einem Archiv spielen, wo zwei stumme Protagonisten mit bedruckten Plakaten die Handlung während vier Stunden permanent, intelligent, persönlich, tiefgründig und humorvoll kommentierten. Der Regisseur hinterfragte so den Mythos von Tristan und Isolde, der ja viel älter ist als Wagners Musikdrama, aus heutiger Sicht und zeigte, dass eine Geschichte selbst sich im Laufe seiner Zeit durch den Betrachtenden verändert und neue Tiefe, neue Impulse und Ideen erlangt. Rodrigues’ Sichtweise ist darüber hinaus ein wunderbares Beispiel dafür, wie genau eine moderne Inszenierung sich an Wagners Absichten halten kann, ohne je diese in einem Moment zu verändern und zu verraten. Was die beiden stummen Protagonisten nachts im Archiv zum Leben erweckten, war ganz genau die Handlung, die Wagner komponiert hat. Der gefährlichen Statik des Tristan begegnete der Regisseur mit einer präzisen, unmissverständlichen Personenregie, die darüber hinaus äußerst sängerfreundlich ist.
Leider war das, was wir auf der Bühne hörten, alles andere als schön. Der 1. Akt erlitt kompletten Schiffsbruch, denn sowohl Sänger wie auch Orchester waren schlecht und fanden an keiner Stelle zusammen. Mit dem 2. Akt wurde es dann wesentlich besser. Dirigent Leo Hussain hatte die Musiker im Griff, das Orchestre de l‘Opéra national de Lorraine spielte klangschön und präzise. Der Dirigent nahm sich zudem Zeit, um seine Sänger ideal zu begleiten und ihnen so genug Raum zu bieten, um ihren Gesang zu entwickeln. Das allerdings klappte nur ansatzweise. Die Brangäne von Aude Extrémo erwies sich als eine komplette Fehlbesetzung; die Sängerin, die scheinbar nur phonetisch sang und keine Ahnung hatte, was sie überhaupt zu singen hatte, beschränkte sich auf ein Produzieren von lauten, unangemessenen Tönen und disqualifizierte sich damit selber. Auch der Kurwenal von Scott Hendricks war schwach, wenig nuanciert und recht rustikal im Gesang.
Ab ‘Oh sink hernieder, Nacht der Liebe’ fand Samuel Sakker als Tristan zu einer recht ordentlichen Leistung, die er trotz brüchiger Höhe und einigen gequälten Tönen bis zum Schluss durchhielt und dabei einen beachtlichen 3. Akt sang. Das Rollendebut von Dorothea Röschmann als Isolde stand unter keinem guten Stern. Die Sängerin war nervös und man merkte ihr die Angst vor den Spitzentönen an, die leider auch regelmäßig daneben gingen. Von stimmlicher Schönheit, lyrischem Gesang oder gar adäquater Rollendarstellung war nichts zu spüren. Im 3. Akt gab es einen Hoffnungsschimmer und man glaubte, die Sängerin habe ihre Unsicherheiten überwunden. Leider brach sie dann wieder während des Liebestods stimmlich ein und hinterließ den Eindruck, dass diese Partie doch zwei Nummern zu groß für sie ist.
Nach viel schlechtem Gesang resp. viel Mittelmaß war der König Marke von Jongmin Park eine Sensation. Sein warmer, strömender und enorm schöner Gesang, seine exakte Phrasierung gepaart mit einer perfekten Gesangstechnik und einer tiefempfundenen Charakterisierung zeigten Weltklasseniveau. Großes Lob für die beiden stummen Protagonisten, Sofia Dias und Vitor Roriz, die während der kompletten Aufführung permanent auf der Bühne und in Bewegung waren, darüber hinaus ihre Rollen mit viel Körpergefühl und einer präzisen Mimik voll ausfüllten.