Zu Giacomo Puccinis 90. Todestag veröffentlicht Arthaus Musik eine Box mit 11 Videodiscs, auf denen sämtliche Opern des Komponisten zu hören sind (‘Tutto Puccini’ ist insofern nicht ganz richtig, als seine wenigen Werke, die nicht der Gattung Oper angehören, hier nicht mit angeboten werden).
Die erste Oper ist ‘Le Villi’, zu sehen und hören in einer traditionellen und dem Geist der Oper entsprechenden, vom Bühnenbild her jedoch etwas kitschigen Aufführung aus dem alten Freilichttheater in Taormina (Sizilien). Neben dem leicht näselnden Tenor Albert Montserrat ist Halla Margret eine unsägliche Besetzung. Wie kann man eine noch relativ junge Sängerin mit einer so unausgeglichenen Stimme engagieren? Auch Andrea Rola (Vater) ist kaum als wirklich professionell anzusehen.
Puccinis ‘Edgar’ war nie erfolgreich, weder in der vieraktigen Urfassung, noch in den später erfolgten dreiaktigen Revisionen. Arthaus veröffentlicht hier die seit der Uraufführung 1889 im ‘Teatro alla Scala’ und zwei weiteren sich anschließenden Aufführungen nicht mehr gespielte vieraktige Originalfassung, für die der 4. Akt durch die Puccini-Expertin Linda B. Fairtile rekonstruiert wurde. José Cura singt die Rolle Edgars, der die zarte Fidelia liebt, aber schließlich von der verführerischen Tigrana ins Netz genommen wird. Er liefert eine stimmlich gerade mal korrekte, darstellerisch jedoch ausdrucksstarke Interpretation. Die beiden Frauenrollen wurden mit Passe-partout-Stimmen besetzt, denen es an Persönlichkeit fehlt. Julia Gertsevas Stimme ist grob und bar jeden sängerischen Raffinements, Amarilli Nizza fehlt es der Einfühlsamkeit, die ihr Spiel vermittelt. Yoram Davids Dirigat ist klotzig und wird der Musik Puccinis nur ungenügend gerecht. Das ist schade, denn die Produktion ist mit aufwändiger und gefälliger Dekoration, prächtiger Kostümierung und aufrichtiger Personenführung durchaus sehenswert.
Eine der besten Aufführungen der gesamten Edition ist die von ‘Manon Lescaut’, mit einer stimmlich exzellenten Maria Guleghina (Manon), einem beachtlichen José Cura (Des Grieux) und dem prächtigen Lucio Gallo (Lescaut), wobei das Orchester der Scala von Riccardo Muti dirigiert wird. Auch die Inszenierung von Liliana Cavani ist beeindruckend.
Die 1988 in San Francisco aufgezeichnete ‘Bohème’ von Franco Zeffirelli zeigt uns das damals optisch zu alte ‘Traumpaar’ Pavarotti-Freni. Immerhin aber ist dies noch eine gute Abglanz-Produktion. Nicolai Ghiaurov singt den Colline. Die (gerade korrekte) musikalische Leitung hat Tiziano Severini.
Die ‘Tosca’ dieser Edition, mit Fiorenza Cedolins (Tosca), Marcelo Alvarez (Cavaradossi) und Ruggero Raimondi (Scarpia), kommt aus Verona. Opernfilme aus der Arena von Verona sind oft problematisch, doch diese Tosca kommt auf dem Bildschirm relativ gut herüber. Das liegt gewiss auch am schauspielerischen Talent der Sänger und an dem opulenten Bühnenbild. Marcelo Alvarez singt den Cavaradossi reichlich pathetisch und manieriert, Ruggero Raimondi ist stimmlich nicht mehr dem ebenbürtig, was er einmal war. Fiorenza Cedolins beeindruckt als hoch dramatische Tosca. Positiv schlägt Daniel Orens Dirigat zu Buch: im Orchester gibt es Kraft und Spannung.
Eine sehr schöne, sehr japanische ‘Madama Butterfly’ aus der Mailänder Scala gibt es bei ‘Tutto Puccini’. Ichiro Takada schuf das Set – japanisches Haus in einem großen japanischen Steingarten -, Keita Asari inszenierte, Yasuko Hayashi singt die Titelrolle brillant, Hak-Nak Kim die Suzuki zu unkonturiert, Peter Dvorsky den Pinkerton recht ordentlich. Lorin Maazel dirigiert. Der eher direkte Klang hätte ein wenig Hall in der Nachbearbeitung erhalten können. Und den Flüsterer im Kasten hätte man nicht unbedingt mit aufnehmen müssen. Dennoch: eine gute Puccini-Oper!
‘La Fanciulla del West’ wurde 2005 live aufgenommen beim Puccini Festival in Torre del Lago. Die Aufführung wird in jeder Minute Puccinis Partitur gerecht, die oft zu Unrecht kritisiert wurde, deren Qualitäten aber nicht ohne Grund einst von Anton Webern (in einem Brief an seinen Lehrmeister Arnold Schönberg) gerühmt wurden. Die Besetzung der Hauptrollen mit Daniela Dessi (Minnie), Fabio Armiliato (Dick Johnson) und Lucio Gallo (Sheriff) ist ausgezeichnet. Dessi zeichnet die Minnie als starke, selbstbewusste Frau, während Armiliato sowohl als Schauspieler wie auch als Sänger sehr ausdrucksstark ist. Lucio Gallo singt und spielt gut und glaubwürdig. Das Orchester Città Lirica leistet unter der Leitung von Alberto Veronesi eine hervorragende Arbeit.
‘La Rondine’ kommt hier aus der Fenice in Venedig, unter der musikalischen Leitung von Carlo Rizzi und in einer fantasievollen Inszenierung von Graham Vick, die die Handlung aus dem 19. in die Mitte des 20. Jahrhunderts verlegt. Die Besetzung (Fiorenza Cedolins, Sandra Pastrana Fernando Porteri, Emanuele Giannino Stefano Antonucci) ist durchwegs gut, beeindruckt aber mehr durch das schauspielerische Darstellen als durch das Singen. Carlo Rizzis Leitung ist eher brav und korrekt als inspiriert.
Für ‘Il Trittico’ wurde auf Aufführungen aus dem ‘Teatro Comunale di Modena’ zurückgegriffen, die Julian Reynolds spannungsvoll dirigiert. Interessant sind die Inszenierung von Christina Pezzoli sowie die Beleuchtung von Cesare Accetta, die jeder der drei so verschiedenen Kurzopern ihren ganz eigenen Charakter gibt. Amarilli Nizza ist eine exzellente Interpretin in allen drei Opern, der Rest der Besetzung ist homogen und Chor und Orchester leisten eine ganz ordentliche Arbeit.
Wenn Sie erleben wollen, wie schlampig man 1983 in Wien eine Puccini-Oper aufführen konnte, dann ist die hier vorliegende Aufführung von ‘Turandot’ ein ideales Corpus delicti. Bei so unpräzisen Solisten und Chören sowie einem sehr approximativ spielenden Orchester kann man nur von einer höchst provinziellen Darbietung sprechen. Carreras ist unausgeglichen und nie wirklich gut, Katia Ricciarelli dünn und unsicher, Eva Marton fahl, und Lorin Maazel dirigiert lustlos.
Die Puccini-Edition mit ihren Höhen und Tiefen enthält eine attraktive Bonus-Platte mit den unvergessenen Sängerinnen Sena Jurinac und Elisabeth Höngen in einer ungemein stimmungsstarken ‘Suor Angelica’ (deutsche Fassung) und mit Erich Kunz in einem herrlich lustigen ‘Gianni Schicchi’. Die ORF Produktionen von 1959 sind in schwarz/weiß und die Bildqualität entspricht natürlich dem Alter der Aufnahmen.
In der Puccini-Box gibt es des Weiteren den gut gemachten Puccini-Film von Tony Palmer sowie ein umfangreiches Buch mit mehreren Aufsätzen und einer Vielzahl Fotos.