Alain Steffen – Ich hatte das große Glück, einem der beiden Konzerte beizuwohnen, aus denen diese Aufnahme der 1. Symphonie Anton Bruckner zusammengeschnitten wurde. Und so begeistert ich mich damals in meiner Konzertrezension äußerte, so begeistert bin ich von dieser CD, die nicht nur Claudio Abbados wunderbares Dirigat aufs Schönste einfängt, sondern auch das einmalige Spiel des Lucerne Festival Orchestra und die spannungsgeladene Stimmung im KKL.
Abbado geht das Jugendwerk enorm frisch an und hält den Orchesterklang geschmeidig und hell. Das Blech bleibt fein, die Streicher betören in glänzenden Farben, das Holz besticht durch seine Wärme; das ist das Resultat einer wirklich ausgefeilten Interpretation, der es an nichts mangelt. Jugendlichkeit und Spielfreude sind Trumpf, aber auch die gestaffelte Transparenz und die klaren Linien zeugen von analytischem Scharfsinn. Und wenn man dieses « kecke Beserl », wie Bruckner seine Erste genannt hat, in solch einer Qualität hört, dann kann man sich nur wundern, dass dieses Opus nicht öfters in den Konzertsälen gespielt wird. Abbados Interpretation ist ohne Zweifel eine eminent wichtige Aufnahme in der Interpretationsgeschichte dieser 1. Symphonie von Anton Bruckner, vergleichbar mit Mario Venzagos atemberaubender und eher kammermusikalischer Aufnahme (der frühen Linzer Fassung) mit der Tapiola Sinfonietta.
Abbado’s First Bruckner Symphony, for sure one of the best in the catalogue, is refreshingly smooth and bright, with wind instruments, colourful strings and warm wood instruments. Transparency and clear lines give evidence of a rare analytic insight.
Remy Franck – Am 26. August 2013 dirigierte Claudio Abbado sein letztes Konzert mit dem Lucerne-Festival Orchestra in Luzern. Der Mitschnitt ist überwältigend und zeigt, welch großartiger Dirigent Abbado in seinen letzten Jahren war.
Im langen ersten Satz, ‘Feierlich, misterioso’, ist die Atmung perfekt, die Musik hat genau den Raum, den sie braucht, die Klanglichkeit ist durchsichtig und dennoch voll und kräftig, der Spannungsauf- und -abbau zwischen dramatischen und ruhigen Passagen optimal. Das Scherzo ist kräftig und flüssig zugleich. Im Adagio, Bruckners Abschied von der Welt, erreicht der Dirigent eine ergreifende Tiefe. Manchmal wird die Musik so zerbrechlich, dass man glaubt, sie müsse verstummen, dann gewinnt sie wieder an Feierlichkeit, die genau so viel Pathos hat wie sie benötigt. Und dabei wird der Klang nie dick und breiig. Er zeigt auch ein volles Farbspektrum, hat lichte Höhen und ein kräftig klingendes Bassfundament, das durch die ebenfalls herausragend gute Mikrophonierung völlig natürlich (ohne Dröhnen) eingefangen wurde.
Das von Abbado gegründete Lucerne Festival Orchestra ist dem Dirigenten voll ergeben und spielt mit größter Intensität, technisch auf höchstem Niveau.
This Ninth Symphony by Anton Bruckner comes from the very last concert Claudio Abbado conducted at the Lucerne Festival in August 2013. Every element necessary to a truly great performance is operating here: transparency, dynamics, articulation, balance, breathing, emotion bring a very natural and organic sound to the music. Knowing how weak Abbado felt at that period, one is overwhelmed by his supremacy over the score.