« Die Welt ist dumm, die Welt ist blind. Wird täglich abgeschmackter! », sagte Heinrich Heine im Jahre 1823. Der Satz kam mir in den Sinn, als ich die Aufregung der allgemeinen Presse konstatierte, die ausbrach als diese CD Anfang Mai herauskam. Schon jahrelang kommen zahlreiche, zum Teil hervorragende Aufnahmen von Werken des Komponisten Mieczyslaw Weinberg heraus. Sie werden von der allgemeinen Presse nicht wahrgenommen und gehen an der breiten Öffentlichkeit vorbei. Jetzt ist der Mann öffentlich geworden. Wie peinlich!
Weinbergs Zweite Streichersinfonie entstand 1946. Sie ist klassisch in der Form, ungemein gut orchestriert und in der vorliegenden, von Mirga Grazinyte-Tyla sehr inspiriert und intensiv dirigierten Aufnahme hoch emotional und bewegend.
Weinberg, der 1941 nach Minsk geflüchtet war, nachdem seine ganze Familie in Warschau von den Nazis ermordet worden war, kam später in die Sowjetunion, wo er als Jude ebenfalls unterdrückt wurde. Die 21. Symphonie wurde erst 1991 fertig gestellt und ist eine Hommage an die Opfer des Warschauer Ghettos.
Weinbergs Kaddish-Symphonie hat sechs Sätze und dauert 55 Minuten. Davon nimmt der erste Satz allein über 18 Minuten ein. Er ist eine zarte Äußerung von Tragik und Trauer und wird hier vom Orchester wie auch von Gidon Kremer fast nur geflüstert. Ganz zum Schluss erklingt auf dem Klavier ein direktes Zitat aus Chopins erster Ballade. Das Desolate des ersten Satzes weicht einem chaotisch-hektischen Allegro molto, das in ein kräftiges Largo mündet, das sich aber schnell beruhigt. Es folgen dann schräge Soli (u.a. vom Kontrabass) und Klezmer-Episoden sowie eine wilde Zirkusjagd, die groteske Farben in die fast surreale Musik bringt, die im 5. Satz, einem Andantino noch ironischer wird.
Mit Glockenklängen wird das lange Finale eingeleitet. Die Musik ist rau und wirkt verzerrt. Brutale Akzente stehen zarten, wie absterbenden Klängen gegenüber.
Dirigentin Grazinyte-Tyla hat im Finale die Sopranpartie selbst übernommen. Es ist ein wortloser Gesang von großer Reinheit, kein Klagegesang, sondern eher ein Gesang innerer Verwirrung als Reaktion auf Unfassbares. Und dann taucht, wie eine Reminiszenz, das Chopin-Zitat wieder auf, eingewoben in düstere Streicherklänge. Ein Harmonium spielt leise, die Solovioline kommt wieder ins Spiel, dann die Stimme, jetzt hysterisch, eine kraftvolle Antwort des Orchesters hervorrufend, bis der Klang still verklingt. Total ergreifend, wie der Rest dieser Symphonie, die in dieser Aufnahme den Hörer mit viel Suggestivkraft überwältigt.