Violinsonaten aus Italien aus dem 19. und 20. Jahrhundert werden vom Label Brilliant als Kollektion vorgelegt, nachdem sie vorher schon als Einzelalben veröffentlicht wurden. Die Studioaufnahmen bilden das Erbe des Violinspiels von Corelli und Geminiani bis hin zu Paganini ab. Ziel der vorgestellten jüngeren italienischen Komponisten war es, Vorbilder aus dem deutschsprachigen Raum anzupassen, indem sie die italienische Kantabilität mit den übernommenen Formvorstellungen kombinierten. In jeweils eigenen Stil erreichten sie dieses Ziel. Zusammen mit dem neuen Essay von Peter Quantrill entstand eine lebendige und fesselnde Geschichte.
Der aus Neapel stammende Michele Esposito war nach einer Station in Paris mehr als vier Jahrzehnte in Dublin Leiter der Klavierklasse an der Musikakademie, wo er auch Lehrer von Hamilton Harty wurde. Aus der Zeit in Paris stammt der Einfluss auf seine Violinsonaten, der ihnen einen unverwechselbaren Charakter gibt. Weltoffen und mit Leichtigkeit mischt er Stile und Einflüsse.
Carmelo Andriani und Vincenzo Maltempo deuten den Charme der Musik nur an, da ihr mechanisches Spiel sowie beim Geiger auch eine schlechte Intonation nichts Positives vermitteln können.
Guido Santórsola zog früh mit seinen Eltern von Italien nach Brasilien, wo er studierte. Nach Stationen in Neapel und London kehrte er endgültig nach Brasilien zurück, wo er zusammen mit Pietro Mascagni zum ersten Mal seine Kompositionen für Violine und Klavier aufführte. Die Rhythmen und Harmonien seiner Wahlheimat färben die Sonate, auch wenn er sich zum klassischen italienischen und deutschen Stil seiner Jugenderfahrungen hingezogen fühlte.
Der Neapolitaner Francesco Santoliquido lebte nach Reisen durch Europa 1912 bis 1933 in Tunis. Die Violinsonate stammt aus dieser afrikanischen Periode, obwohl sie keine erkennbaren lokalen Aspekte aufweist. Mit einem Thema in Quinten, das man mit einer Art Zweideutigkeit à la Debussy hören kann und Klavierakkorden, die den langsamen Satz impressionistisch einleiten, schafft er neue Aspekte, bevor das italienische Cantabile, durch bluesartige Harmonien beeinflusst, die Oberhand gewinnt.
Mario Castelnuovo-Tedesco, ebenso Jude, war aus Italien kommend in die USA emigriert. Seine Violinsonate trägt den Titel Quasi una Fantasia, der den frei rhapsodischen Charakter beschreibt. Er erreicht eine Verschmelzung der Sprachen, die einen entscheidenden Bruch mit den dualen Strömungen des italienisch-deutschen Ausdrucks markiert.
Die Werke von Castelnuovo-Tedesco, Santoliquido und Santórsola werden vom Gran Duo, bestehend aus dem Geiger Mauro Tortorelli und der Pianistin Angela Meluso vorgetragen. Technisch vertretbar portraitieren sie die drei Kompositionen mit sachlichem Zugang.
Der bei Florenz geborene und als Priester geweihte Domenico Bartolucci stieg in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts zu einem einflussreichen katholischen Musiker auf. Als Maestro di Capella der Sixtinischen Kapelle hielt er die traditionellen Werte der liturgischen Musik hoch. Seine eigene Musik prägte er im spätromantischen Idiom. Im Andante sostenuto seiner Sonate folgen einem eleganten Klaviervorspiel im Stil von Brahms raffinierte modale Harmonien in der Geige, die die kontrapunktische Entwicklung ergänzen, um sakrale und weltliche Welt zu verschmelzen. Ein volkstümliches Scherzo erinnert an Bazzini, bevor im Finale mit neoklassischem Elan ein neoromantisches zweites Thema entfaltet wird.
Die Brüder Venturi, Luca, Violine und Marco, Klavier, spielen diese Sonate in vier Sätzen mit einfallsreich gestalteter Linienführung und sicherer instrumentaler Handhabung. Sie legen die Musik dieses Komponisten, der das jüngste Geburtsdatum dieser Auswahl hat, sehr ansprechend dar.
Der in Brescia geborene Antonio Bazzini entwickelte seine Prägung in Leipzig. Seine Musik ist rundum italienisch. Seine Violinsonate lässt an Schumanns Lob über ihn denken, da sie genauso feurig gestaltet ist wie die Kammermusik des Lobenden.
Der Geiger Luca Fanfoni und die Pianistin Maria Semeraro setzen die im Werk angelegte Energie in den Ecksätzen erfolgreich frei. Im langsamen Mittelsatz fällt die Spannung ein wenig ab. Doch überwiegt einnehmende Charakter der Darstellung.
Die Violinsonate von Riccardo Malipiero ist die modernste in dieser Reihe. Die fast dodekaphonische Textur blieb wegen des ‘schrecklichen November’ von 1956, also der Niederschlagung des ungarischen Aufstands durch sowjetische Panzer, unvollendet.
Das Duo der Streicherin Rebecca Raimondi und des Pianisten Alessandro Viale bietet die Sonate von Malipiero mit klarer Diktion der zwölftönigen Ausgestaltung an. Dabei pflegen sie aber eine elegant klangvolle Spielweise, die dem Werk trotzdem eine angenehm charmante Note verleiht.
Mario Pilati aus Neapel erweiterte seine Technik in seinen 20er Jahren mit der Violinsonate. Damit fand er seinen Weg, um die unruhigen Zeiten musikalisch zu reflektieren. Das Klavier gibt einen perkussiven Rhythmus vor, gegen den die Violine schillernde Funken schlägt. Das neckische italienische zweite Thema lockert die Stimmung und erweist sich als raffiniert anpassungsfähig. Im langsamen zweiten Satz wird ein Hauch von Prokofiev vermittelt. Das Finale beginnt im kämpferischen Modus, bevor es in einer Art Neo-Verismo endet.
Der Violinist Francesco Manara und Dario Candela am Klavier machen diese Elemente der Komposition mit ihrem engagierten Spiel deutlich.
Leone Sinigaglia blieb seiner romantisch veranlagten Muse treu. Die Sonate versprüht einen herbstlichen Einblick mit wolkigen Harmonien und einem ergreifenden Hauch von Tragik.
Die Geschwister Génot, die geigende Alessandra und der Klavier spielende Massimiliano, liefern eine rundum stimmungsvolle Interpretation des Werkes, in der sie alle ihre technischen Qualitäten zur Realisierung einfließen lassen.
Die etwas uneinheitliche Qualität der Interpretationen stellt ein gewisses Manko dieser an sich lobens- und lohnenswerten Sammlung dar. Im Übrigen wird auf die früheren Besprechungen von Einzelausgaben verwiesen:
Busoni: https://www.pizzicato.lu/notizbuch-eines-rezensenten-cd-kurzrezensionen-von-uwe-krusch-folge-244/
Margola: https://www.pizzicato.lu/kurzkritiken-short-reviews-by-remy-franck-63/
Respighi: https://www.pizzicato.lu/?s=Paggioro
Wolf-Ferrari: https://www.pizzicato.lu/die-selten-zu-horenden-violinsonaten-von-wolf-ferrari/
Violin sonatas from Italy from the 19th and 20th centuries are presented by the Brilliant label as a collection, having previously been released as individual albums. The studio recordings represent the legacy of violin playing from Corelli and Geminiani to Paganini. The aim of these younger Italian composers was to adapt models from the German-speaking world by combining Italian cantabile style with adopted formal ideas. The composers in this series each achieved this goal in their own style. Together with the new essay by Peter Quantrill, the recordings tell a lively and captivating story.
Born in Naples, Michele Esposito spent more than four decades in Dublin as head of the piano class at the Academy of Music after a period in Paris, where he also became Hamilton Harty’s teacher. The influence on his violin sonatas, which gives them an unmistakable character, stems from his time in Paris. He mixes styles and influences open-mindedly and with ease. Carmelo Andriani and Vincenzo Maltempo only hint at the charm of the music, as their mechanical playing and the violinist’s poor intonation cannot convey anything positive.
Guido Santórsola moved with his parents from Italy to Brazil at an early age, where he studied. After stops in Naples and London, he finally returned to Brazil, where he performed his compositions for violin and piano for the first time together with Pietro Mascagni. The rhythms and harmonies of his adopted country color the sonata, even though he felt drawn to the classical Italian and German style of his youthful experiences.
The Neapolitan Francesco Santoliquido lived in Tunis from 1912 to 1933 after traveling through Europe. The violin sonata dates from this African period, although it has no recognizable local aspects. With a theme in fifths that can be heard with a kind of ambiguity à la Debussy and piano chords that introduce the slow movement impressionistically, he creates new aspects before the Italian cantabile, influenced by blues-like harmonies, gains the upper hand.
Mario Castelnuovo-Tedesco, also Jewish, emigrated from Italy to the USA. His violin sonata bears the title Quasi una Fantasia, which describes its freely rhapsodic character. He achieves a fusion of languages that marks a decisive break with the dual currents of Italian-German expression.
The works by Castelnuovo-Tedesco, Santoliquido and Santórsola are performed by the Gran Duo, consisting of violinist Mauro Tortorelli and pianist Angela Meluso. They portray the three compositions in a technically justifiable manner with a matter-of-fact approach.
Born near Florence and ordained as a priest, Domenico Bartolucci rose to become an influential Catholic musician in the second half of the last century. As Maestro di Capella of the Sistine Chapel, he upheld the traditional values of liturgical music. He shaped his own music in the late Romantic idiom. In the Andante sostenuto of his sonata, an elegant piano prelude in the style of Brahms is followed by refined modal harmonies in the violin, which complement the contrapuntal development to merge the sacred and secular worlds. A folksy scherzo is reminiscent of Bazzini, before a neo-Romantic second theme unfolds with neoclassical verve in the finale.
Luca Venturi, violin, and Marco Venturi, piano, play this sonata in four movements with imaginative lines and secure instrumental handling. They present the music of this composer, who was born the youngest in this selection, in an appealing manner.
Antonio Bazzini from Brescia developed his musical style in Leipzig. His music is roundly Italian. His violin sonata is reminiscent of Schumann’s praise of him, as it is just as fiery as his chamber music.
Violinist Luca Fanfoni and pianist Maria Semeraro successfully release the energy inherent in the work in the outer movements. The tension drops a little in the slow middle movement. However, the playful, engaging character of the performance prevails.
The violin sonata by Riccardo Malipiero is the most modern in this series. The almost dodecaphonic texture remained unfinished due to the ‘terrible November’ of 1956, i.e. the suppression of the Hungarian uprising by Soviet tanks.
The duo of string player Rebecca Raimondi and pianist Alessandro Viale offer Malipiero’s sonata with clear diction of the twelve-tone arrangement. At the same time, however, they cultivate an elegantly sonorous style of playing, which nevertheless lends the work a pleasantly charming note.
Mario Pilati from Naples expanded his technique in his 20s with the violin sonata. With it, he found his way to reflect the turbulent times musically. The piano provides a percussive rhythm against which the violin strikes shimmering sparks. The teasing Italian second theme lightens the mood and proves to be cleverly adaptable. A touch of Prokofiev is conveyed in the slow second movement. The finale begins in a combative mode before ending in a kind of neo-verismo.
Violinist Francesco Manara and Dario Candela on the piano make these elements of the composition clear with their committed playing.
Leone Sinigaglia remained true to his romantically inclined muse. The sonata exudes an autumnal insight with cloudy harmonies and a poignant touch of tragedy.
The Génot siblings, Alessandra on the violin and Massimiliano on the piano, deliver an all-round atmospheric interpretation of the work, in which they bring all their technical qualities to bear.
Please also refer to the previous reviews of individual editions:
Busoni: https://www.pizzicato.lu/notizbuch-eines-rezensenten-cd-kurzrezensionen-von-uwe-krusch-folge-244/
Margola: https://www.pizzicato.lu/kurzkritiken-short-reviews-by-remy-franck-63/
Respighi: https://www.pizzicato.lu/?s=Paggioro
Wolf-Ferrari: https://www.pizzicato.lu/die-selten-zu-horenden-violinsonaten-von-wolf-ferrari/
The somewhat inconsistent quality of the interpretations is a certain shortcoming of this collection, which is in itself commendable and worthwhile